Martha Roslers radikale Kunst in der Schirn Kunsthalle.
Greenpoint ist ein hippes Viertel in Brooklyn, New York. Mittzwanziger in Laufsteg-reifen Vintage-Styles shoppen dort auf Floh- und Biomärkten und sitzen in den überteuerten Cafés mit minimalistisch-unfertiger Fassade: Das Abgenutzte der Vergangenheit fügt sich als Accessoire perfekt in den lässigen, abgerockten Lifestyle der konsumstarken New Yorker Kids. Natürlich sind die bröckelnden Fassaden Kulisse – längst ist der maßlose Kapitalismus in die Randbezirke des ohnehin durchgentrifizierten Brooklyn geschwappt.
Greenpoint ist seit den 1980er Jahren auch die Heimat von Martha Rosler. Die 1943 in New York geborene Amerikanerin ist eine einflussreiche politische, feministische Konzeptkünstlerin und Vorbild für eine jüngere Generation von Künstlerinnen. Die Schirn Frankfurt widmet sich jetzt unter dem Titel „In one way or another“ ihrem Schaffen – in einer konzentrierten Schau, die der Leiter der Kunsthalle, Sebastian Baden, und Co-Kuratorin Luise Leyer in Zusammenarbeit mit der Künstlerin auf die Beine gestellt haben.
Es ist die erste Ausstellung, die Baden seit seinem Antritt vor einem Jahr kuratiert hat. Sie ist ein geschickt inszenierter Rundumblick geworden, der zur Vertiefung einlädt; in das explizite und radikale Werk Roslers, in die brennend aktuellen und zugleich immer wieder erschreckend zeitlosen Themen: Krieg, Macht, soziale Ungerechtigkeit – mitsamt ihren fatalen Folgen. Rosler ist eine präzise Beobachterin, ihr Blick durchdringt Fassaden.
Als Rosler nach Greenpoint zog, war noch nichts von der heutigen Hipster-Kultur zu sehen; es war ein postindustrielles, vernachlässigtes Viertel mit einer migrantischen Kultur. Als in den 90ern der Wandel begann, fing Rosler ihn mit der Kamera ein. Einige Jahre zuvor hatte sie in ihrer Serie „The Bowery in two inadequate descriptive systems“ (1974/75) schon die Ladenfronten der Bowery fotografiert, einer berüchtigten Straße in Manhattan voller Theater und Tanzlokale, in der sich Obdachlose und Alkoholiker rumtrieben. Ihre Fotografien damals waren menschenleer – Rosler wollte keinen voyeuristischen Blick auf das Elend. Stattdessen lotete sie das Potenzial einer anderen, aussagekräftigen Dokumentarfotografie aus. Ihre Serie „Greenpoint: New Fronts“, die sie seit 2015 bis heute verfolgt, zeigt wieder Ladenfronten – hinter denen die neuen, jungen Bewohnerinnen und Bewohnern von Greenpoint ihre Lokale eingerichtet und sich nach und nach den Stadtteil angeeignet haben. Zu lesen ist dies als Kritik an den ökonomischen Zwängen eines neoliberalen Kapitalismus, wie Baden und Leyer im Gespräch sagen. Es ist eines der Themen, die Rosler über die Jahre hinweg beschäftigte: die sozioökonomischen Folgen einer ausbeuterischen Welt.
In dem Super-8-Film „Flower Fields (Color Field Painting)“ von 1974 fliegt eine Landschaft aus Blumenfeldern vorbei. Es wurde aus einem Auto heraus gefilmt. Erst beim Heranzoomen sind Menschen zu erkennen, die in den Feldern arbeiten – Hilfskräfte aus Mexiko. Die nicht sichtbare, nicht honorierte Arbeitskraft – diesmal explizit von Frauen – machen die Videos „Backyard Economy“ zum Thema: In einem Garten hängt eine Frau Wäsche auf, schiebt einen Rasenmäher über die heimische Wiese.
Immer wieder setzt sich Rosler kritisch mit der Rolle der Frau in einem patriarchalen System auseinander, mit dem gesellschaftlichen, männlich dominierten Blick auf sie und ihren Körper. Eine ihrer ersten feministischen Arbeiten ist die ab 1966 entstandene Serie „Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain“. Dafür schnitt Rosler Abbildungen weiblicher Körper aus Mode- und Erotikmagazinen aus und montierte sie in einen neuen Kontext. Fragmente des weiblichen Körpers erscheinen dort als Überspitzung des sexualisierenden und objektivierenden Blicks in surrealen, abstrusen, auch ironischen Szenen. Die Montagen waren eigentlich das Ergebnis ihres aktivistischen Engagements, für das Rosler Flugblätter entwarf: Die Künstlerin war im „Women’s Liberation Movement“ aktiv und schloss sich der „Women’s Liberation Front“ an. In dem Video „Semiotics of the Kitchen“ parodierte sie 1975 TV-Kochsendungen, ordnete Küchenutensilien je einen Buchstaben zu und führte in absurd-komischer Aggressivität die Objekte und ihren Nutzen vor.
Das beeindruckendste Kapitel von Roslers Arbeit betritt man direkt am Anfang der Ausstellung: ihre Auseinandersetzung mit Kriegen und Kriegsbildern in den Medien. Von der Decke breitet sich ein großer Fallschirm aus, an dem ein weißlackiertes Ölfass hängt, und der von kleineren Fallschirmen umgeben ist, an denen Cola-Dosen baumeln. „OOPS!“ heißt die Installation von 1999, die den NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien, wirtschaftliche Kriegsinteressen und das pervers-einfache Massentöten von Menschen kommentiert. An einem alten Macintosh-Computer kann man sich durch serbische und albanische Onlinepropaganda klicken. Rosler ließ die Webseiten damals speichern, es war der erste Cyberkrieg der Geschichte. Das Töten per Mausklick in einer weiteren Eskalationsstufe ist in der Rotunde der Schirn dokumentiert: Dort klären 2013 von Rosler entworfene Plakate über die vernichtende Funktionsweise von Drohnen auf.
Die Montagen der Serie „House Beautiful: Bringing the War Home“ von 1967-72 holen in schockierender Leichtigkeit den Vietnamkrieg in die US-amerikanischen Wohnzimmer: Ausschnitte aus der Lifestylezeitschrift „House Beautiful“ sind da zu sehen, und inmitten des Lebenstraums des Mittelstands: die Grauen des Krieges, Leichen, Bomben, Feuer, Hinrichtungen. In den Jahren 2004 bis 2008 aktualisierte Rosler die Serie im Zuge des Kriegs im Irak und in Afghanistan. Models, Fitnessübungen und Designercouches prallen da auf Operation „Desert Storm“. In einem komplett ausgebombtem Gebäude sprüht ein Werbemodel lachend mit Febreze um sich. Tja, jeder Mensch tut, was er kann. Roslers Kunst spornt dazu an, dieses Tun grundsätzlich noch mal neu zu denken.
Schirn Kunsthalle, Frankfurt: bis 14. September. www.schirn.de