Neue Radwege, ganzjährig wärmeres Klima und Schulanfang – in Österreichs Städten sind mehr Radfahrende unterwegs denn je. Theoretisch wäre dieses Mehr an Verkehr auch der beste Grund, öfter Helm zu tragen – für die eigene Sicherheit. Eine Radhelmpflicht besteht aber nur für Kinder bis zum zwölften Lebensjahr. Die Tragequoten bei Erwachsenen sind nach wie vor durchwachsen. Als der Mobilitätsclub ÖAMTC zuletzt genauer auf die Straßen schaute und fast 15.000 Radfahrende beobachtete, trugen 35 Prozent Helm. Erfreulich: Der Anteil der freiwilligen Trägerinnen und Träger ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Doch warum ist er nicht noch höher? Sind Fahrradhelme unbequem oder mittlerweile zu teuer? Und wie testet man eigentlich, ob diese gut ausgeführt sind in puncto Sicherheit und Usability? Worauf es bei einem guten Fahrradhelm tatsächlich ankommt, haben wir Steffan Kerbl, den Leiter “Test und Technik” beim ÖAMTC gefragt. Wir fassen das Wichtigste aus dem Gespräch in einigen Fragen und Antworten zusammen:

Radhelm, Radfahrer und Fahrrad

Schwarz-Matt ist die beliebteste Farbe bei Radhelmen. Die Sichtbarkeit ist leider sehr schlecht.
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Frage: Wie müsste ein Helm beschaffen sein, damit mehr Menschen einen tragen?



Antwort: Das ist vermutlich keine Gestaltungsfrage, sondern eine der Akzeptanz und des Bewusstseins. Kurioserweise hat das Skifahren mit Helm dazu geführt, dass nun mehr Leute auch Fahrradhelme akzeptieren. Beim Skifahren hat sich der Helm wesentlich rascher durchgesetzt. Vermutlich weil er Synergieeffekte hat, er wärmt auch und sieht mit der Skibrille wie ein stylisches Gesamtkonzept aus. Beim Radfahren ist er eher bloße Gewohnheit. Wer einmal begonnen hat, mit Helm zu fahren, bleibt meist dabei.



Frage: Die Preisrange bei Helmen ist enorm. Sind billige Helme weniger sicher?



Antwort: Tatsächlich zeigen viele Tests, dass auch die Discounterhelme etwa von Lidl und Hofer in puncto Sicherheit durchaus gut abschneiden und von den Mobilitätsclubs eine klare Empfehlung bekommen. Die meisten Tester sagen, dass Helme um 25 Euro oft vollkommen in Ordnung sind. Was man bei diesem Preis nicht erwarten darf, ist ein hoher Alltagsnutzen. Oft ist die Riemenführung sehr einfach gestaltet, und man quält sich bei der richtigen Einstellung für bequemes Tragen. Dennoch muss man bei einem Helm immer wieder Anpassungen vornehmen, etwa wenn man eine Haube drunter trägt. Das ist bei den günstigsten Modellen meistens nicht so einfach möglich.



Frage: Wie kommen Preise von mehreren Hundert Euro zustande?



Antwort: Kurioserweise durch Alleinstellungsmerkmale bei Modellen, die in den Tests dann oft durchfallen. Etwa ein magnetischer Verschluss oder andere komplizierte Teile, die der Hersteller selbst gestaltet und dabei offensichtlich scheitert. Die ganz ausgefuchsten Konstruktionen sind in der Ausführung oft nicht robust genug. Manchmal sind die Top-Helme aber auch deshalb so teuer, weil sie für die individuelle Größe eines Kopfes passgenau gefertigt werden und gar keine Verstellung mehr zulassen.

Weißer Helm mit Schutzausrüstung

Kombinationshelme, die etwa im Skaterpark zum Einsatz kommen, können bei entsprechender Zertifizierung auch als Fahrradhelm fungieren.
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Frage: Weil gerade Schulbeginn war: Was gilt es bei Kinderhelmen zu beachten?



Antwort: Erwachsene kaufen sich normalerweise einen reinen Fahrradhelm. Kinder nutzen den Helm aber oft auch in einem Skaterpark oder für andere Sportarten. Dort dürfen die Helme aber nicht nach dem ersten Stoß bereits kaputt sein. Diese Helme sollen eher wie Kletterhelme sein und mehr aushalten. Und sie sind oft so gestaltet, dass sie auch der Norm eines Fahrradhelms standhalten können. An sich ist der klassische Fahrradhelm auf Unfallschutz optimiert. Das heißt, es ist alles darauf ausgelegt, dass im Falle eines Sturzes auf Asphalt ein einziges Mal möglichst viel dämpfende Wirkung vorhanden ist. Danach gehört er weggeworfen. Kombinationshelme haben eine etwas härtere Außenschale, weniger Lüftungsöffnungen und halten mehrfach Stöße aus. Dafür ist das Dämpfungsverhalten nicht ganz so gut. Das heißt aber nicht, dass man sie deswegen nicht für Kinder kaufen sollte, immerhin können diese Helme weiterverwendet werden.



Frage: Man sieht immer mehr Helme mit Beleuchtung. Sind die sinnvoll?



Antwort: Mobilitätsexperten sehen es am liebsten, wenn das Fahrrad selbst gesetzeskonform mit Beleuchtung ausgestattet ist. Manche Radler erachten Helme mit Licht nämlich als Ersatz für Lichter am Rad. Das sollte nicht der Fall sein. Denn bei einem Licht am Hinterkopf ist es für den Fahrer schwerer zu erkennen, wenn die Batterie leer ist und die Lampe nicht mehr leuchtet. Aber es spricht nichts gegen Redundanzen und zusätzliche Beleuchtung am Helm. Sie ist ein nettes Feature, aber kein Ersatz für gute Lampen, die sich am Fahrzeug befinden.



Frage: Was fehlt bei den meisten Helmen?



Antwort: Eine Reflektorfunktion. Das ist keine Kostenfrage und keine Designfrage. Es gibt Reflexionsmaterialien, die sich gut in jeden Helm integrieren ließen. Aber werkseitig sind Reflektoren selten in Helmen verbaut, sondern im Lieferumfang nur als separater Aufkleber dabei. Somit wird es den Endverbrauchern überlassen, ob sie diese anbringen oder nicht. Durch die Reflexion wird die Sichtbarkeit im Verkehr aber enorm erhöht. Somit würde auch nichts gegen einen schwarzen Helm sprechen. Die Farbe Schwarz-Matt ist am weitesten verbreitet, obwohl sie am schlechtesten zu sehen ist.



Frage: Welche Rolle spielt die Farbe generell für die Sichtbarkeit?



Antwort: Wenn es keine Reflektoren oder Lichter am Helm gibt, ist die Farbe bei wenig Licht die einzige Chance gesehen zu werden. Eine helle Farbe reflektiert das Licht natürlich stärker. Und Schwarz-Matt ist schlechter zu sehen als eine Oberfläche, die mit Klarlack beschichtet ist. In der Regel sind Skaterhelme aber matt, weil man auf dieser Oberfläche Kratzer und Stöße nicht so stark sieht. Auch die bei Jugendlichen beliebten Camouflage-Muster sind – wie der Name schon verrät – sehr schlecht in der Dämmerung zu sehen.

Bunte Helme

Farbe, Reflektorfunktion und Beleuchtung erhöhen die Sichtbarkeit auf der Straße.
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Frage: Viele neuere Helme verfügen über das MIPS-System. Was kann es?



Antwort: MIPS steht für Multi-directional Impact Protection System und wurde von einem Start-up entwickelt, um Schutz vor schrägen Stößen beim Aufprall des Kopfes zu bieten. Es ist ein zusätzliches Helmsystem, das über elastische Silikonbänder mit der Außenschale verbunden ist. Die äußere Schale kann sich dadurch um ein paar Zentimeter bewegen, seitliche Schläge wie Drehimpulse werden weniger stark übertragen. Oder anders ausgedrückt: Ein Teil des Drehimpulses wird in eine geschmeidige Drehbewegung umgewandelt. Das System hat laut Experten aber von Anfang an nicht hundertprozentig perfekt funktioniert. In der Zwischenzeit arbeiten auch andere Hersteller an ähnlichen Systemen, durch den Wettbewerb dürfte die Technologie laufend besser werden.



Frage: Sind die sichersten Helme alle mit MIPS ausgestattet?



Antwort: Helme mit MIPS-System bieten eine zusätzliche Sicherheit. Aber Helme, die bei Tests Bestnoten bei der Sicherheit bekommen, haben nicht alle zwangsläufig MIPS. Es gibt auch andere sehr sichere Systeme von anderen Herstellern.



Frage: Sind Halskrausen mit einem Airbag ein würdiger Ersatz für einen Helm?



Antwort: Sie sind vor allem ein würdiger Ersatz für jemanden, der gerne viel Geld ausgibt und keinen Helm tragen will. Auch in puncto Sicherheit können die Halskrausen in vielen Tests überzeugen. Die Airbags gehen schnell genug auf und schützen den Kopf dort, wo es nötig ist, ohne die Sicht zu behindern. Doch ausgerechnet der Tragekomfort ist meist nicht so berauschend. Zielgruppe sind Menschen, die wegen der Frisur keinen Helm tragen wollen. Für die meisten Tester ist der Helm insgesamt das praktischere Produkt, denn im Sommer schwitzt man mehr mit Halskrause als mit Helm. Und zum Entfalten des Airbags in den Halskrausen muss ein Akku geladen werden. Ein Helm schützt dagegen auch ohne Strom.



Frage: Wie testet man seriös die Qualität eines Fahrradhelms?



Antwort: Zunächst wird bei den Tests darauf geachtet, ob es für das Produkt Normen oder Richtlinien gibt. Normen sind nicht verbindlich. Sie sind ein Regelwerk, auf das sich die Industrie meist freiwillig einigt. Eine Richtlinie wird erlassen, wenn die Behörden in Brüssel beschließen, es sei so wichtig, dass es gesetzlich geregelt werden muss. Dann müssen die Hersteller das unbedingt berücksichtigen. Diesen Rahmen nehmen die Tester als Grundlage her.



Frage: Was gehört noch zu einem umfassenden Test?



Antwort: Verbraucherschutzorganisationen nehmen sich heraus, weitere Bauteile oder Zusatzaspekte zu testen. Bei Fahrradhelmen wurde immer wieder diskutiert, den Drehimpuls bei Unfällen mitzutesten. Der Kopf schlägt bei einem Unfall nicht in einer geraden Linie auf. Da ist immer auch eine Rotationsbewegung dabei. Dieser Umstand ist in der neuesten Norm nun aber bereits abgedeckt.



Frage: Wie wird ein Unfall nachgestellt?



Antwort: Dafür wird der Kopf eines Dummys genommen, der im freien Fall behelmt auf einen Amboss fällt. Um eine Rotationsbewegung zu simulieren, fällt er zusätzlich über eine Kante, auf eine Schräge oder ein Hindernis. Im Kopf selbst befinden sich verschiedene Sensoren. Diese Werte müssen danach interpretiert werden. Daraus lässt sich schließen, wie stark die Belastung für einen lebenden Menschen ist.



Frage: Werden denn nur technische Aspekte getestet?



Antwort: Was in die Normen und Richtlinien kaum einfließt, sind Alltagseigenschaften wie Tragekomfort. Deshalb sollten unbedingt auch echte Probanden testen. Wenn es etwa um Kinderhelme geht, sollten Kinder sie ausprobieren. Dann weiß man wirklich, ob sie einen bestimmten Helm auch gerne tragen. Weiters wird zum Beispiel geprüft, ob man den Helm mit anderen Gegenständen wie zum Beispiel Fahrradbrillen kombinieren kann. Oder es wird geschaut, ob aktive Beleuchtung oder Reflexionsmaterialien am Helm angebracht worden sind und im Lieferumfang dabei sind. Auch Fliegengitter zum Schutz gegen Insekten werden immer häufiger. All diese Eigenschaften werden dann in ein Schulnotensystem gepresst. Wenn allerdings eine Schlüsseleigenschaft – vor allem die Sicherheit – negativ auffällt, gibt es sogenannte Durchschlageffekte. Das äußerst sich dann in einer insgesamt schlechteren Gesamtnote. (Sascha Aumüller, 13.9.2024)