Unter Marketingexperten erzählt man sich gern folgende Anekdote: Eine Kette indischer Luxushotels litt in der Regenzeit unter ausbleibenden Buchungen und suchte Hilfe bei einer großen englischen Werbeagentur. Deren Chefin ersann einen genialen Plan. Sie kreierte das Wort „Monsun-Yoga“ und sagte den Hotelmanagern, sie sollten zur Regensaison entsprechende Kurse anbieten. Gesagt, getan, es wurde ein Yoga-Programm auf die Beine gestellt, Fotos gemacht, Journalisten eingeflogen, die Werbetrommeln gerührt. Und zack, die Kunden kamen, der Umsatz stieg – angeblich um über vierzig Prozent.
Beispiele ähnlicher Zaubereien sind hinlänglich bekannt – wobei es immer wieder die Sprache ist, die für kecke Überhöhungen herhalten muss. Chefs sind im Zuge solcher Tuningverfahren zu CEOs geworden, Eheberater zu Relationship Managern, Frisöre zu Hairstylisten, Bankberater zu Asset und Wealth Consultants. Man kennt das.
In den Sog dieses Wildwuchses gerät zunehmend auch die Welt des Segelns – bisher eher als elementares und nicht so leicht zu beeindruckendes Betätigungsfeld bekannt. Aus der guten alten Segelschule ist mancherorts die Sailing Academy geworden, und neben klassischen Chartertörns lassen sich Relax-Törns in die Karibik oder Deluxe-Sailing-Reisen inklusive Yoga-Retreat zur See buchen. Damit nicht genug, wird inzwischen an Bord auch „gecoacht“, dass sich die Rahen biegen.
Vermutlich begann alles mit dem Aerobic-Boom der achtziger Jahre, als Jane Fonda in sexy Klamotten auftauchte, die Sporteinheit zum Work-out umdeutete, die Strumpfhose zur Leggins, die Dehnübung zum Move und das Hopsen zur Cardio-Session. Der Sportlehrer hieß fortan Trainer – und stieg alsbald zum Personal Coach auf. Damit allerdings kam es zu einem Novum. Aus der zuvor rein sprachlichen Verwandlung wurden plötzlich handfeste Angebote, die seither unseren Alltag bereichern. Und es werden immer mehr.
Nun, die Welt ist nicht einfacher geworden. In Zeiten von Fake News, grassierender Individualisierung und allerlei disruptiven Strömungen kann das Leben schon mal unübersichtlich werden. Verständlich also, dass persönliche Beratung auf diversen Ebenen gefragt ist. In Sachen Lebenshilfe gibt es kaum noch etwas, das es nicht gibt: Ernährungsberater, Style-Berater, Konfliktberater. Unter dem Zauberwort „Coaching“ fallen die Offerten noch raumgreifender aus: Karriere-Coaching, Life-Balance-Coaching, Business-Health-Coaching, OKR-Coaching (Objectives and Key Results), prozessorientiertes Coaching für Führungskräfte sowie die gezielte Potenzialentfaltung für den blockierten Manager.
Schon vor vier Jahren schrieb Claudia Voigt im „Spiegel“: „Ich weiß nicht, wie es passieren konnte, dass sich die sogenannte Coaching-Kultur schlimmer als ein Grippe-Virus ausgebreitet hat. Vermutlich, weil es keine Impfung dagegen gibt.“ Noch schlimmer: Anstatt zu wachsen, würde sich so manch Beratener in eine „Schmalspur-Persönlichkeit“ verwandeln.
Nun sollte man das vielleicht alles nicht so verbissen sehen. Es geht letztlich um eine Form der modernen Dienstleistung, die ein jeder in Anspruch nehmen darf, aber nicht muss – außer er oder sie werden von ihren Vorgesetzten dazu verdonnert. Hier wollen Menschen lediglich ihre Erfahrungen teilen, um auf diese Weise ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Ob wir dabei im Meer der Sprücheklopfer landen oder tatsächlich neue Erkenntnisse über alles Mögliche und vielleicht sogar uns selbst erlangen, sei dahingestellt. Es hängt, wie meist im Leben, von der Qualität des Angebots ab wie von der Bedürftigkeit der Nachfrage. Wenn die Diaspora der Coaching-Provider nun aber auch noch das Segeln entdeckt und die Weiten der Meere erobert, dann dürfen wir zumindest kurz die Stirn runzeln.
Und allen Ernstes fragen: echt jetzt? In der Tat wird unser Hobby gerade von einer Flut ausgebuffter Coaching-Angebote heimgesucht. Das beginnt beim Erwerb eines Schiffs: Wer heute eine Yacht sucht, kann zum Beispiel ein gezieltes „Bootskauf-Coaching“ buchen, um sich in einem dreistündigen Gespräch auf die Begegnung mit Fahrzeug und Verkäufer vorzubereiten. Ob das am Ende einen Gutachter ersetzt oder den Ratschlag eines erfahrenen Segelfreunds – niemand weiß es im Voraus. Der Anbieter jedenfalls wirbt mit dem einleuchtenden Satz: „Wir sagen Ihnen, worauf Sie sich intensiv vorbereiten und welche unangenehmen Fragen Sie dem Verkäufer stellen müssen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.“
Orientierungsgespräche dieser Art hat es schon immer gegeben. Ob man die klassische Kaufberatung dabei gleich als Coaching verkaufen muss, ist Geschmacksfrage und heutzutage wohl auch der Internet-Suchmaschinenoptimierung geschuldet. Deutlich kreativer allerdings wird es, wenn das alte Segeln und das neue Coaching zu „Happiness Training Academies“ verquickt werden. Mit Erstaunen liest man: „Segeln und Coaching ist eine besonders intensive Art der persönlichen Weiterentwicklung. Auf hoher See nutzen wir die Analogie zwischen dem Steuern eines Segelbootes und der Steuerung des eigenen Lebens.“
Der Anbieter erkennt im Segeln in der Tat gewaltiges Potenzial. Darunter scheint es im Coaching-Sektor sowieso keiner mehr zu machen. So kommen die erklärten Ziele der gemeinsamen Törns denn auch nicht gerade schmalspurig daher: „Das Steuer in die Hand nehmen und die Welt verändern. Das Leben inspiriert und begeistert weiterentwickeln. Muster erkennen und den Mut haben, ein außergewöhnliches Leben zu erschaffen und Träume kreativ zu verwirklichen.“
Nicht schlecht, Herr Specht. Aber bot das Segeln das alles nicht schon immer? Ein elementares Erlebnis? Abenteuer? Seemannschaft? Aufbruch zu neuen Ufern? Und auch dies: eine kleine Lebensschule?
Eines jedenfalls haben all die Coacher auf ihren eigenen Coaching-Seminaren sorgfältig eingetrichtert bekommen: „Nenne Yoga im Regen niemals Yoga im Regen. Taufe es: Monsun-Yoga!“ Dafür sind die sieben Segeltage rund Malle dann aber auch für 2.250 Euro zu haben, plus 300 Euro, die in die Bordkasse wandern. Macht für den Anbieter bei acht Teilnehmern immerhin 20.400 Euro pro Woche, egal ob dieser nun ein skippernder Coach ist oder ein coachender Skipper. Aber gut, so eine Segelyacht kostet ja auch.
Wer derart vollmundig klingende Törnofferten vorab einmal auf die Waagschale legen möchte, dem sei ein Satz von Sprachpapst Wolf Schneider ans Herz gelegt. Der sagte einmal: „Mit pompösem Wortgeklingel wappnen sich Experten gegen den Verdacht, sie hätten vielleicht nichts Besonderes zu sagen.“
»Braucht man neuerdings wirklich einen Bootskauf-Coach, um eine Yacht anzuschaffen? Warum soll es nicht mehr ausreichen, einen Gutachter zurate zu ziehen – oder der Meinung eines segelerfahrenen Freundes zu vertrauen?«
Eine Frage, die sich bei alledem stellt, lautet, warum es ausgerechnet die Segelschiffe sind, die neuerdings scharenweise als Lebensoptimierungsdampfer herhalten müssen. Ist der Wind schuld? Leuchten die Petroleumlampen abends so schön? Oder werden die Selfies besser, wenn das Boot krängt? „Leinen los!“ heißt es in einem weiteren Angebot. „Sichere dir dein Ticket zur Freiheit.“ Und weiter: „Deine Segelreise ist der Beginn einer großartigen Entwicklung. Inspiriert von diesem Leitgedanken begleite ich dich auf deiner individuellen Coaching-Reise unter Segeln mit Rückenwind an dein Ziel.“
Helfen sollen dabei diverse Techniken, die vom Coach zuvor erlernt wurden – und die nun hoch am Wind zum Einsatz kommen: systemisches Arbeiten. Erfahrungen mit NLP. Transaktionsanalyse. Remote Viewing. Innenseiten der Kommunikation.
Angebote dieser Art nehmen inzwischen fast kein Ende mehr: Portfoliomanager, Financial Analysts, Natur-Coaches, Berater und Mentoren aller Art sind heute zu finden, die ihr Wissen auf Seminaren unter Segeln vermitteln. Insider haben über dreißig Coaching-Trends ausgemacht, die den Markt dominieren. Viele davon spielen jetzt auch auf Yachten.
„Segeln mit Tiefgang“ heißt ein mehrtägiges Coaching an Bord, entwickelt für erfahrene Führungskräfte, die das „intensive Setting nutzen möchten, um sich mit den konkreten Themen ihres Führungskräftealltags auseinanderzusetzen“. Grund: „Die besonderen Bedingungen an Bord unterstützen den Coaching-Prozess optimal.“ Ein weiterer Aspirant bietet „leaderSHIP-Segeln für Führungskräfte und Teams“ an, der nächste Resilienztraining auf der Ostsee, der übernächste Resilienztraining auf dem Bodensee. Motto: „Segel dich stark – Wege zu innerer Stärke und verantwortungsvoller Selbststeuerung“.
Zu orten auf dem Jahrmarkt der maritimen Lebenstrainer ist fast alles: „Einzeloder Duo-Coachings auf dem Segelboot“, „Teambuilding auf der Yacht“, „Frauen-Segelcoaching für mehr Geschlechtervielfalt“, „Systemisches Coaching auf See“ inklusive „Outplacement-Beratung“. Männer werden im Mittelmeer auf „Ehe-Törns“ geschickt, Young Professionals dürfen in die Karibik zu „Sail & Coach“-Trips. In Holland wird auf dem IJsselmeer Teambildung und „Achtsamkeitstraining auf einem Segelschiff“ verkauft, um mittels „Meditation, Wahrnehmungs- und leichten Bewegungsübungen Momente unseres Lebens bewusster zu erfahren“.
Die Grenze zwischen Boating und Coaching muss inzwischen nahtlos verlaufen. Das Meer als Lehrmeister, das Boot als Schule, die segelnden Coacher als Vorturner der verlorenen Lebensinhalte.
Nun ist es ein Leichtes, sich über Trends lustig zu machen. Besonders, wenn sie so windschnittig daherkommen. Dabei sind im heutigen Konvolut der Selbstoptimierungstörns sicher ein paar hübsche Erlebnisse zu haben. Was gibt es schließlich Schöneres, als ein, zwei Wochen auszubrechen, im Urlaub abzuschalten, dafür Spannendes und Neues zu erleben, noch dazu auf einer Segelyacht? Man ist auf dem Wasser, riecht den Wind. Man lernt andere Menschen kennen, muss ein bisschen mit anpacken und ratzt nachts in einer Koje. Herrlich!
Die Frage ist nur: Was ist so neu daran? Was maßen sich die Damen und Herren Coacher an, den guten alten Segelsport mit derartigem Gedröhne zu überziehen? Segelschiffe waren schon immer gute Lehrmeister, die See als Bühne der Selbsterfahrung noch nie zu verachten. Auf Segelschiffen konnte man schon immer gut in den Himmel blicken und dabei durchaus ein wenig über das Leben und sich selbst nachdenken. Man hatte sich ein bisschen einzuschränken, musste auch schon mal einen Sturm durchwettern. Dafür lagen stets neue Ufer voraus, und man durfte äußerst beflügelnde Momente erleben, wenn das Boot nach einem windigen Tag voller Seemeilen wieder sicher im Hafen lag und die Crew gemeinsam das Manöverbier trank.
Es ist das, was das Segeln zu großen Teilen ausmacht – seit einem guten Jahrhundert. Lackaffen auf dem Life-Balance-Trip kamen darin bisher selten vor. Mit aufgeblasenen Lebensweisheiten um sich schmeißende Sales Manager hatten an Deck so viel verloren wie eine Bananenschale. Spätestens bei Windstärke sechs ist Schluss mit Gefasel.
Und wenn es tatsächlich um so etwas Großes wie Selbsterfahrung oder Horizonterweiterung ging, dann war es beim Segeln stets ziemlich ernst gemeint. Wilfried Erdmann zum Beispiel tat so etwas, als er zweimal solo um die Erde segelte und dabei jedes Mal ein Jahr lang allein auf See war. Auch andere wussten schon lange um die dem Segeln inhärenten Erfahrungsschätze und bemühten sich stets, diese mit anderen zu teilen. Dabei ging es um Seemannschaft und handfeste Segelpraxis im engeren, durchaus aber auch um eine Form der Lebensschule im weiteren Sinne. Das beginnt schon beim Optisegeln, seit den fünfziger Jahren der klassische Einstieg in den Sport. Bis heute lernen Kinder das Segeln in den kleinen Seifenkisten – und dabei noch viel mehr. Böen lesen, kentern, Boot wieder aufrichten. Halsen, wenden, anluven, abfallen. Ja: Die Knirpse lernen steuern – durchaus auch im übertragenen Sinn.
Und, Stichwort „mitanpacken“: Segeln bedeutete immer auch schon, sich ein wenig selbst ums Material zu kümmern. Bootspflege, Winterarbeit, Schleifen, Lacken, Seeventile tauschen und Schoten betakeln. Allein darin steckt eine Portion Selbsterfahrung, ohne dass dies gleich als Erleuchtungs-Coaching verkauft wird. Denn auch das weiß und lehrt das Segeln seit Jahrzehnten: Man muss sich schon ein wenig die Hände schmutzig machen, bevor der Geist beseelt übers Meer und auch durchs Leben gleitet. No pain, no gain.
Die Segelvereine wissen das wohl am besten. Seit eh und je fördern sie den Nachwuchs, rüsten Jugendkutter aus, organisieren Törns und Flottillen, nehmen interessierte Novizen auf und mit. Erwachsene, die das Segeln lernen wollen, können diverse Scheine machen, können Chartertörns buchen und sich ein eigenes Logbuch besorgen. Wer dies dann mit Meilen füllt, dürfte eine Menge Spaß haben und obendrein so einige Erfahrungen sammeln. Das Nautische betreffend, das Meer, die Wolkenbildungen, das Schiff, die Mannschaft, die Kurse, die zwischenmenschlichen Besonderheiten auf so einem Boot und dabei womöglich auch ein bisschen sich selbst auslotend. Ohne dass ein Coaching-Prediger unter mediterraner Sonne sitzt und von Lebensentwürfen psalmodiert.
Dass Segelschiffe sich zum Vermitteln äußerer wie innerer Kompetenzen eignen, ist bekannt, seit im frühen 20. Jahrhundert ehrwürdige Rahsegler auslaufen und es das stinklangweilige Wort „Schulschiff“ gibt. Das Reiseziel hieß allerdings selten Palma oder eine Woche Kroatien, sondern vielmehr: den Kadetten Beine machen und die jungen Matrosen gleichzeitig fit fürs Leben. Das „Schulschiff Deutschland“ ist ein Beispiel, die „Gorch Fock“, die „Nordwind“ – neben Dutzenden anderen international bekannten Ausbildungsschiffen, die bis heute unter Segeln fahren.
An Bord dürfte es schon immer die eine oder andere Einheit Wind und Lebensweisheit gegeben haben, dies psychologisch nicht immer ohne bleibende Spuren. Doch wer dem Kapitän hier mit „Inner Engineering“ oder „Selbstmaximierungs-Strategien“ gekommen wäre – er hätte die nächsten zehntausend Seemeilen Kartoffeln schälen können.
Dass Segelschiffe sogar als Vehikel für Erziehung, Bildung und Sozialarbeit in Frage kommen, erkannte man in den neunziger Jahren, als Boote wie die „Undine“ mit Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen losfuhren, um den armen Teufeln neue Perspektiven zu bieten. Für seine Jugendarbeit betrieb etwa der Hamburger „Gangway e. V.“ über zwei Jahrzehnte lang einen alten Zweimastschoner, mit dem es jeweils sechs Monate auf See ging. An Bord: pädagogisch geschulte Segler und Mitarbeiter, die den Jugendlichen eine Chance geben wollten.
Der Verein äußert sich so dazu: „Über das gemeinsame Leben und Arbeiten an Bord lernten die Jugendlichen sich selbst neu kennen als Menschen mit vielfältigen Fähigkeiten und Stärken und erhielten zugleich als gemusterte Decksleute eine nautische Grundausbildung und damit eine Option auf eine berufliche Perspektive (im Hafen, auf Binnen- oder Küstenmotorschiffen etc.). Neben Arbeit war die Schule fester Bestandteil des Tagesablaufs.“
So kann es auch klingen. Und so klang es schon vor dreißig Jahren. Lernen fürs Leben – vor dem Mast. Ernsthaft. Sechs Monate lang. Quer über die raue Nordsee. Und das Einzige, das sich aufblähte, waren die Segel. Den Segelschiffen als schwimmenden Lehranstalten setzte der Film „White Squall“ ein Denkmal. Darin sticht das Schulschiff „Albatross“ in See, um ein Jahr durch die Karibik zu kreuzen. An Bord sind zwölf Jugendliche, die unter dem strengen Regiment von Kapitän Sheldon stehen, gespielt von Jeff Bridges. Es geht in der Geschichte nicht nur ums Segeln und blaue Buchten, sondern vor allem um Kameradschaft, Disziplin, Anstand und Moral. Oder kurz: um eine Reise ins Erwachsenwerden.
Doch die härteste Prüfung kommt erst: Das Schiff gerät in einen Orkan. Es sinkt, vier Leute ertrinken – woraufhin der Kapitän sich vor dem Seegericht verantworten muss und sein Patent zu verlieren droht.
Womit wir bei einem Punkt sind, der beim Segeln an erster Stelle steht – weit vor allen gut gemeinten Lebensbereicherungsmaßnahmen: die Sicherheit an Bord. Sprich: Qualifikation und Erfahrung des Skippers sowie die Seetüchtigkeit des Schiffs. Eine Segelyacht nämlich mag sich noch so gut als Wirkungsstätte für Coachings aller Art vermarkten lassen – doch niemand sollte sie mit einem Seminarraum verwechseln, einer Schule, einem Wellnesshotel oder einem Yoga-Tempel. Dies gilt besonders, wenn nicht nur Familie und Freunde an Bord sind, sondern auch zahlende Gäste. Menschen, die von den Verheißungen des Segelns träumen, die womöglich aber noch nie zuvor ein Schiff betreten haben.
Erheben sich Wind und Wellen, hört der Spaß blitzschnell auf. Es geht dann nicht mehr um „Acceptance und Committment“-Therapien, wie es zum Beispiel das „Life Coaching Retreat unter Segeln“ unter dem Motto „Die kleine Schule des wertvollen Lebens“ anbietet. Im Sturm geht es schlicht darum, sicher an Land zu kommen. Im schlimmsten Fall darum: nicht abzusaufen.
Teilnehmer beim Führungskräftetraining auf See können dann hautnah erleben, was Stressmanagement, Entscheidungsfindung und Teambildung bedeuten. Und nur hoffen, dass Skipper und Coach in einer solchen Situation entsprechend gewappnet sind. Die „Coachees“, wie die Teilnehmer solcher Törns heute genannt werden, sollten sich darum tunlichst vorher schlaumachen, mit wem sie da überhaupt in See gehen. Anders gefragt: Handelt es sich um ein seemannschaftlich seriöses Angebot?
»Segeln mit Tiefgang oder auch mit Rückenwind fürs Leben – an maritimen Metaphern zur Entflechtung verknoteter Seelen mangelt es vielen selbst ernannten Coaches jedenfalls nicht«
Der Deutsche Segler-Verband (DSV) und die Dienststelle Schiffssicherheit der Berufsgenossenschaft Verkehr haben in dieser Hinsicht klare Vorstellungen. Demnach sollte jeder kommerziell operierende Skipper – ob er gleichzeitig als Coach auftritt oder nicht – neben den üblichen Scheinen und Erfahrungsnachweisen eine professionelle Skipper-Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben. Zudem sollte das Schiff eine Zulassung der BG Verkehr besitzen. Kurzum: Wer auf einer Segelyacht die seemännische Verantwortung für Gäste übernimmt, sollte diese auch tragen können. Wenn dies der Fall ist, darf es getrost auf Seereise gehen. Leinen los. Segel setzen. In See gehen. Ahoi, ahoi! Die ganz große Freiheit spüren, die Seele baumeln lassen und Weisheit tanken, bis der Spibaum kracht. Das ganze Programm.
Wenn die versammelten Lebenstrainer an Bord es dann verstehen, nicht nur von Lösungen zu sprechen, wo keine Probleme sind, und sich obendrein in halbwegs normaler Sprache üben, kann es sogar richtig gut werden. Dann heißt es, lasst uns segeln gehen und es genießen! Oder auf Neudeutsch: Coach me if you can!
Marc Bielefeld
Der 56-jährige Journalist und Autor aus Hamburg lebt und arbeitet entweder auf seinem Boot am Mittelmeer oder in Hamburg. Für die YACHT schreibt er regelmäßig Reportagen und Porträts (siehe Seite 40). Zuletzt erschien sein Buch „Logbuch der Leidenschaft“ bei Delius Klasing