Was bringt für die Erreichung der Klimaziele bessere Ergebnisse und mehr Akzeptanz: Staatliche Vorgaben oder ökonomische Anreize?
Zwei umfangreiche Forschungsvorhaben legen nahe: Regeln werden bevorzugt.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Climate.Table am 20. Juli 2023.
In der Debatte darum, wie ein klimafreundlicher Lebensstil aussehen kann und wie man ihn erreicht, haben jetzt zwei Untersuchungen überraschende Ergebnisse gebracht: Bei der Akzeptanz politischer Maßnahmen ergab eine Studie des „Sachverständigenrats für Umweltfragen“ der Bundesregierung (SRU), dass „regulative Maßnahmen, also Ver- und Gebote, in der Regel eine viel höhere Akzeptanz aufweisen als ökonomische Anreize.“ Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch ein breit angelegte Forschungsprojekt der EU zu einem „1.5° Lifestyle“. Demnach tendieren Bürger „oft zu sehr viel effektiveren Mitteln, als sich das Politiker trauen“, heißt es.
Beide Untersuchungen fallen in eine Zeit, in der in Deutschland wegen des umstrittenen „Gebäudeenergiegesetzes“ (GEG) heftig debattiert wird, was der Beitrag der Konsumenten zum Klimaschutz sein kann. Einige der zentralen Frage dabei sind: Wie effektiv und wie beliebt sind Verbote? Und orientieren sich die Menschen in ihren Entscheidungen ökonomisch rational?
Unter den geeigneten Maßnahmen für die zügige Wärmewende ist das Verbot von neuen Gas- und Ölheizungen, welches das GEG formuliert, das mit der größten Akzeptanz. So lautet eine der Antworten aus der Forschung zur aktuellen Debatte um das Heizungsgesetz.
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IPCC: Anderer Lebensstil für Klimaziele nötig
Grundsätzlich ist laut IPCC die Einhaltung der Klimaziele nur möglich, wenn sich auch der Lebensstil der Menschen ändert. Demnach könnten durch Maßnahmen auf der Nachfrageseite 40 bis 70 Prozent der notwendigen Minderung von Treibhausgasemissionen bis 2050 erbracht werden. Und „um Klima-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, muss das Verhalten der Menschen in Deutschland umweltfreundlicher werden“, schreibt auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen im aktuellen Sondergutachten.
„Es war uns ein Anliegen, dieses Thema aus dem ideologisch verminten Gelände herauszuholen“, sagt Ratsmitglied Annette Elisabeth Töller von der Fern-Universität Hagen, die das Sondergutachten koordiniert hat. In der Debatte um ökologisches Verhalten käme von Umweltbewegten oft der Vorwurf, damit die Verantwortung auf das Individuum abzuwälzen – Liberale wiederum sähen in diesen Fragen die Freiheit gefährdet. „Deswegen benennen wir in dem Gutachten klare Kriterien dafür, wann eine politische Intervention angezeigt ist.“
Änderung ist effektiv, wenn die Zeit drängt
Nach Meinung der SRU sollten deshalb Maßnahmen ergriffen werden, die auf eine Änderung des Verhaltens gerichtet sind, wenn:
- die Zeit drängt,
- Verhaltensänderung ein starker Hebel für Veränderung ist,
- systemseitige Maßnahmen nur mit Verhaltensänderung zusammen wirken,
- Verhaltensänderung günstiger ist oder Co-Benefits bietet,
- bei der Regulierung der Produktionsseite das Risiko der Verlagerung (Leakage) von Industrien ins Ausland besteht.
Das Sondergutachten listet auf, welche staatlichen Instrumente sich dafür eignen, Menschen zu Verhaltensänderungen zu bringen. Dazu gehören etwa:
- regulative Instrumente wie Gesetze,
- ökonomische Instrumente wie Steuern und Subventionen,
- Informationskampagnen,
- aber auch Infrastrukturen und Angebote, die klimafreundliche Entscheidungen fördern.
Was ist politisch durchsetzbar?
Gleichzeitig schätzen die Experten auch die politische Realisierbarkeit solcher staatlichen Eingriffe ein. Eins der drei Fallbeispiele des Gutachtens ist die Wärmewende in Eigenheimen. Das Ergebnis:
- Regulative Instrumente für umweltfreundliches Verhalten im Gebäudesektor (also etwa ein Gesetz, das Effizienzstandards für fossile Heizungen festlegt oder diese ganz verbietet) stoßen im Allgemeinen auf „geringe Akzeptanz“,
- Einbauverbote fossiler Heizungen werden dagegen immerhin mit „mittlerer Akzeptanz“ bewertet.
Laut Gutachten entscheiden Haushalte bei der Wahl einer Heizung nach einer „gefühlten Wirtschaftlichkeit“, zukünftige Entwicklungen wie der Anstieg des CO₂-Preises würden in der Entscheidung „möglicherweise nicht ausreichend“ berücksichtigt, heißt es. Der Sachverständigenrat begrüßt daher „ausdrücklich“ die GEG-Vorgabe, dass ab 2024 neu eingebaute Heizungen mindestens mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Gleichzeitig empfiehlt der Rat eine „klare Priorisierung der Erfüllungsoptionen“. Das bedeutet: Pelletheizungen sollten zum Beispiel bei der Förderung weniger priorisiert werden als Wärmepumpen.
Wichtig: Politischer Rahmen für Entscheidungen
Außerdem rät das Gutachten, die Politik solle neue Anlässe für Haushalte schaffen, sich mit energetischer Sanierung auseinanderzusetzen. Das könnten beispielsweise neue ordnungsrechtliche Standards sein, ein sehr hoher CO₂-Preis oder auch ein Energieberater vom Quartiersmanagement, der an die Haustür klopft. SRU-Autorin Töller ist selbst erstaunt über die vergleichsweise höhere Akzeptanz politischer Maßnahmen, die „in der Regel eine viel höhere Akzeptanz aufweisen als ökonomische Anreize“.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch das breit angelegte Forschungsprojekt EU 1.5° Lifestyle. Das europaweite Projekt erforscht, wie ein Lebensstil aussieht, der mit einer maximalen Erderhitzung von 1,5 Grad Celsius vereinbar ist. „Dabei geht es uns einerseits darum, was Bürger*innen oder Haushalte machen können. Andererseits – und das ist genauso wichtig – untersuchen wir die politischen Rahmenbedingungen für Verhaltensänderungen“, sagt Doris Fuchs, Professorin an der Universität Münster, die das Projekt koordiniert.
Fliegen, Autos, Zucker: Verbote sind beliebt
In fünf Thinking Labs, eins davon in Deutschland, wurden Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Medien, Zivilgesellschaft, Forschung und Thinktanks befragt, wie sie verschiedene Instrumente der Verhaltensänderung einschätzen. Das Ergebnis: Mit Abstand am beliebtesten waren Steuern und Verbote, wenn es zum Beispiel um Flugreisen, Autos in Innenstädten oder Zucker in Lebensmitteln ging.
„Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber es unterstreicht eigentlich, was wir in der Forschung immer wieder bestätigen“, so Doris Fuchs. „Dass nämlich sowohl Stakeholder als auch Bürger in gemeinsamen Entscheidungsprozessen oft zu sehr viel effektiveren Mitteln tendieren, als sich das die Politiker trauen“.
In einer vorherigen Phase des Projekts wurden sieben tiefgreifende Strukturen identifiziert, die einen 1,5 Grad konformen Lebensstil erleichtern oder auch erschweren. Daraus haben die Forschenden die wirksamsten Hebel abgeleitet.
- Das Paradigma des Wirtschaftswachstums überwinden
- Konsistente, vorhersehbare und integrierte politische Maßnahmen
- Den systematischen Einfluss von Interessengruppen überwinden
- Ökonomische Anreize geben und Umweltkosten integrieren
- Alternative Narrative stärken
- Ungleichheit überwinden
- Informationen und Fähigkeiten in die Bildung integrieren
Gerade das erste Hindernis, den Fokus auf Wirtschaftswachstum, habe das Forschungsteam nicht erwartet, so Fuchs: „Dass die Wirtschaft wachsen muss, ist eine Grundannahme, die wir selten hinterfragen. Dabei erreichen wir bisher nur in sehr begrenztem Maße eine Loslösung von Wirtschaftsleistung und Ressourcenverbrauch“, sagt Fuchs. „Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir Lebensqualität in Zeiten schaffen können, in denen wir uns weiteres quantitatives Wirtschaftswachstum nicht mehr leisten können.“
Das EU 1.5 Lifestyle Forschungsprojekt startete im Mai 2021 ist auf vier Jahre angelegt. Neben der Erforschung von Wirksamkeit, Akzeptanz und politischer Rahmenbedingungen für Verhaltensänderung ist es auch erklärtes Ziel, „transformative Ansätze für 1,5° Lebensstile umzusetzen.“ (Von Leonie Sontheimer)