Es ist nie zu spät für ein Geständnis: Martha Stewart, weltweit erste Influencerin, lang bevor es den Begriff überhaupt gab, und Gründerin eines Koch- und-Lifestyle-Imperiums, hat ihren Ex-Mann, den Verleger Andrew Stewart, bereits auf der Hochzeitsreise betrogen. Das erzählte die 83-jährige in ihrer gerade erschienenden Netflix-Dokumentation „Martha Stewart“. Schon in den Flitterwochen habe sie einen anderen Mann geküsst, im Dom von Florenz. „Es war nichts Unanständiges, nur eine Stimmung des Augenblicks. Und es war aufregend. Ich wünschte, jeder könnte das mal erleben“, erklärte die amerikanische Unternehmerin auf ihre entwaffnende Art.
Lernen von den Besten: Weil Martha Stewart so groß-, und einzigartig ist, veröffentlichen wir hier noch einmal eines ihrer seltenen Interviews, das sie uns 2011 in New York gab. P.S.1: Ihre erste Ehe zerbrach 1987 nach 27 dynamischen Jahren und wurde 1990 nach einer saftigen Scheidungsschlacht geschieden. P.S.2: Voll und ganz zufrieden mit der Dokumentation zeigte Stewart sich nicht, gegenüber der „New York Times“ beschwerte sie sich etwa über die „lausige Filmmusik“. Songs von Snoop Dogg und Dr. Dre wären ihr lieber gewesen.
Martha Stewart wirkt wie eine liebevolle apfelbäckige Hausfrau, dabei ist sie der „toughest cookie on earth“. Ein harter Brocken für jeden Reporter. Ein Termin bei ihr ist keine Pressereise, zu der mal eben so 50 Journalisten anrauschen. Zwei Jahre lang mussten immer wieder neue Anträge gestellt werden, aber aus Marthas Büro kam immer nur: Sorry, ist nicht erreichbar. Morgen Dubai, dann Malaysia. Nein, jetzt grillt sie gerade für ihre Show draußen auf ihrer Farm – bei 40 Grad Hitze. Und die Lady ist fast 70!
Dieses Superhousewife ist einfach nicht zu kriegen, ein Soufflé bei Gegenwind gelingt leichter. Dabei hatte man von Anfang an klargemacht, es werde nicht mehr um ihre Knastzeit gehen, sondern man möchte über Apfelkuchen mit ihr reden, über Amerika, Obama. Okay, eine Frage vielleicht zu dem kleinen Fleck auf ihrer blütenweißen Weste, es stand damals schließlich in allen Zeitungen, dass die Unternehmerin fünf Monate ins Gefängnis musste – wegen Insiderhandels. Das ist nun mal auch Teil ihres Lebens. Und dass sie danach weitermachte, so als sei ihr nichts geschehen, unterstreicht nur noch mehr den Eindruck ihrer Unerschütterlichkeit.
Als ich schon gar nicht mehr dran glaubte, kam eine E-Mail: Okay, 40 Minuten – aber: nur eine Frage zur damaligen Verurteilung. Das ist passé, darüber spricht sie nicht.
Martha Stewart, die eigentlich für Landhausromantik und Eastcoast-Charme steht, empfängt in einer ehemaligen Lagerhalle in New York, ihr Büro. Man merkt sofort: Das ist kein Kaffeekränzchen, hier wird Business gemacht. Dazu sieht die Geschäftsfrau auch noch sehr gut aus. Man hatte sie sich ein bisschen untersetzt vorgestellt, so wie alle halt, die gern kochen und backen.
Nein, sie hat auch noch superlange Beine, war ja unter anderem auch mal Model. Als Deutsche fühlt man sich sofort mit ihr verbunden, sie hat so etwas Preußisches, Soldatisches, Knappes. Eine Zeitung verglich sie neulich wieder mit der eisenharten Maggie Thatcher. Das Lustige daran: Maggie Thatcher hat nie gelacht. Sie dagegen haut sich immer wieder brüllend auf die Schenkel und verblüfft ihr Gegenüber durch entwaffnende Furchtlosigkeit.
WELT: Frau Stewart, Sie sind gerade zusammen mit der 85-jährigen Jazz-Legende Tony Bennett in der „Hall of Fame“ von New Jersey für Ihr Lebenswerk geehrt worden: die ganze heile Welt der himmlischen Häuslichkeit vom Kringelbacken übers Kräuterzüchten bis zu Fertighäusern, die Sie entwerfen – Haushaltsnippes und Hundehütte inklusive. Könnten Sie sich trotzdem kurz für die, die Sie noch nicht kennen sollten, vorstellen?
Martha Stewart: Ich bin Martha Stewart, die Ihr Leben leichter macht!
WELT: Sie gelten ähnlich wie Ihr Farm-Nachbar in Bedford, Modedesigner Ralph Lauren, als Schöpferin des sogenannten amerikanischen Traums: motherhood and applepie. Warum verkauft sich dieser weiße Holzhaus-Pionier-Stil immer noch so gut in Ihrem Land?
Stewart: Wir können hier natürlich nicht von allen Amerikanern sprechen, jeder lebt nach seiner eigenen Fasson. Dieser Pioniergeist hält aber noch immer als eine Art Gründungsideologie her, wenn es darum geht, wer die Amerikaner eigentlich sind. Und das drückt sich bis heute auch in ihrem Wohnen aus. Darüber hinaus hat auch das Fernsehen in unserem Land mit seinen Wohnzimmerkomödien die Amerikaner und ihren Sinn für das eigene Zuhause stark beeinflusst. Diese Serien berieseln uns ja ständig mit Lifestyle-Chic: Das fing mit „Dallas“ an – wissen Sie noch? Diese Ranch mit ihren sauber weiß umzäunten Pferdekoppeln, Whiskey trinkende Ölbarone in der Bibliothek. Dieses schicke „nouveau ranch“.
WELT: Europa hat seine Schlösser und Krönchen – Amerika hat die Southfork Ranch und Martha Stewart.
Stewart: So ungefähr. Der amerikanische Traum findet bei uns im Fernsehen statt. Es ist die Kulisse, vor der unser modernes Leben stattfindet. Und so waren plötzlich viele, gleich welcher Einkommensklasse, inspiriert, ihrer Küche auch mal wieder eine neue Farbe zu verpassen und mehr aus ihrem Leben zu machen. Es passte perfekt in die Zeit, als ich in den 80ern aus meinem Namen eine Lifestyle-Marke machte: Wir haben den Traum wahr werden lassen, indem wir schöne Dinge für jeden erschwinglich machten.
WELT: Der Traum war irgendwann auch ziemlich angeknackst: 11. September. Der Tag, nach dem alles anders war.
Stewart: Ganz schlimm! Ich habe noch ein Foto mit dem Blick aus den Fenstern hier und den zwei Türmen. Und eins – ohne Türme. Dieser Angriff hat unser aller Leben und Denken tief verändert. Ich selbst habe mich sehr verletzlich gefühlt danach. Plötzlich fühlte man sich bedroht.
WELT: Wird die Welt durch Martha Stewart eine bessere?
Stewart: Auf jeden Fall eine einfachere. Ich hasse es, Zeit zu verschwenden. Warum lang rumplagen, wenn man etwas auch schnell und einfacher erledigen kann? Also warum zwei Tage an einem Kuchen backen, wenn Sie ihn mit meiner Hilfe in zwei Stunden servieren können? Ich bin fürs Praktische: Das Leben sollte vor allem Spaß machen, statt Mühe zu kosten. Eins steht fest, wir haben mit unseren Produkten und unserer Qualität mehr zur Lebensfreude der Menschen beigetragen als irgendein anderes Unternehmen oder irgendeine andere Person.
WELT: Eigentlich sind Sie die geheime First Lady: Selbst Michelle Obama folgt Ihnen und wird für ihre berühmtesten Taten weltweit gelobt, wie dem Ausstatten des Weißen Hauses mit Möbeln von der Stange, Anlegen eines Gemüsegartens sowie dem Anschaffen eines Hundes.
Stewart: Sie war sogar zu Gast in meiner Sendung. Am Muttertag. Es war ein Special zu Ehren der Soldatenmütter.
WELT: Der 2. Mai war ein besonderer Tag gerade für Amerika: Osama Bin Laden, der Mann, der so viel Leid über das Land gebracht hat – tot. Sie sind die Dekor-Meisterin des amerikanischen Patriotismus. Wir erinnern uns an Ihren „Lobster-Day“ in Maine, 14 Seiten in Ihrem Heft. Wie aber dekoriert man sein white american house für diesen Heldentag? Was gibt‘s zu essen? Macht man Hufeisenwerfen, oder wie, glauben Sie, wird dieser Tag in Zukunft begangen?
Stewart: Sie meinen wegen Osama? Oh, nein, ich persönlich würde diesen Tag gar nicht feiern. Ich glaube auch nicht, dass er als Ruhmestag in die Geschichte Amerikas eingehen wird. Ich weiß, viele Menschen haben sich um das Weiße Haus versammelt, als die Nachricht seines Todes verkündet wurde. Aber da, wo ich lebe, hat man nicht gejubelt. Jeder war einfach nur erleichtert und froh, dass eine böse Kraft vernichtet war. Kein Grund zum Feiern.
WELT: Sie haben einen grünen Daumen und ein liberales Herz. Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie Arnold Schwarzenegger in die Politik zu gehen?
Stewart: Ganz ehrlich, ich wäre schrecklich gern in die Politik gegangen. Diesen Traum musste ich allerdings begraben, als ich Probleme mit dem Gesetz bekam. Selbst wenn ich der Meinung bin, nichts falsch gemacht zu haben, wenn man eine Eintragung im Strafregister hat, ist das nicht wirklich hilfreich. Das ist keine gute Empfehlung. Schwarzenegger hat seine Akte immerhin noch so weit in Ordnung gehalten, dass es zum Gouverneur von Kalifornien reichte. Jetzt aber hat er mit seiner Dummheit wirklich alles verspielt. Ich meine, wir sind zwar eine freiheitsliebende Nation, und im Grunde geht es ja auch keinen etwas an, aber was da jetzt vor sich geht an sexuellen Exzessen, geht zu weit. Ich find‘s kriminell.
WELT: Arnie, Tiger Woods, Strauss-Kahn – immer sind es die Männer, die in die Sexfalle laufen.
Stewart: Alles armselige Idioten! Solche Idioten! Die sind getrieben von diesem Ding, das ihnen zwischen den Beinen hängt, und von nichts anderem. (Hier zum Beispiel erdröhnt das Stewart-Lachen!)
WELT: Und ruinieren dann ihre Familie für ein paar Minuten Ego-Spaß.
Stewart: Ich meine, Rikers Island! Das ist bekanntermaßen ein grauenvoller Ort. Allein der Dreck da. Aber was mich wirklich zornig macht an der Sache, ist, dass plötzlich jeder, der mal was mit diesem Kerl – Do-mi-ni-que – zu tun hatte, aus der Deckung kommt. Wo waren die vorher? Es macht mich wirklich wütend, dass Frauen so sind. Ich meine, wenn sie ein Problem mit dem Mann hatten, hätten sie auch früher damit rauskommen können. Tiger Woods – das Gleiche. Aber nein, plötzlich fallen sie alle über diesen Menschen her – und wer weiß, vielleicht hatten sie ja auch Spaß? Ich find‘s unmöglich. Kiss and tell: nicht mein Stil.
WELT: Sie sind ja auch katholisch. Und polnischer Abstammung, aufgewachsen mit fünf Geschwistern!
Stewart: Oh, ja, da war Leben in der Bude. Die ganze Familie war außerdem sehr musikalisch. Mein Vater spielte Geige, meine Brüder spielten Klavier. Wir sangen im Chor.
WELT: Ihr Vater soll mal versucht haben, Sie mit einem Kochlöffel zu verdreschen, erzählten Sie in einem Interview. Sie konnten gerade noch um den Küchentisch fliehen.
Stewart: Das war meine Mutter!
WELT: Auweia. Dann haben Sie mit Ihrem Beruf also ein Familientrauma zum Traum verwandelt?
Stewart: Gott bewahre, nein, so schlimm war es nicht. Es war eher wie „Unsere kleine Farm“ bei uns. Es herrschte zwar ein strenges Reglement, beide Eltern waren ja Lehrer, aber verprügelt worden sind wir natürlich nie. Es gab feste Heimkehrzeiten für jedes Kind. Wir mussten arbeiten für unser Taschengeld, oh, ja! Ich war mit acht Jahren bereits der Babysitter für die gesamte Nachbarschaft. Und mit zehn plante und managte ich sämtliche Geburtstagspartys für alle Kinder in der Gegend.
Wir hatten wenig Geld, und so wurden wir erzogen: nicht einfach kaufen, selber machen. Daher hab ich das ja. Mit dem Unterschied: Anderswo hatte es mit einem künstlerischen Anspruch zu tun, bei uns war es die Not. Unsere Kleidung nähten wir selbst, und der Nächstjüngere trug sie auf. Statt Shopping machten wir Schaufensterbummel, Fernseher gab‘s nicht, dafür durften wir so lange wir wollten in die Bibliothek. Und Ferien verbrachten wir zu Hause – ich habe nie den Grand Canyon oder Europa gesehen. Oder Coca-Cola. Ich musste immer zu einer Freundin gehen, um mal einen Longdrink zu bekommen. Bei uns gab‘s Fruchtsäfte, dafür hatten wir Kinder aber auch nie Karies und waren nie krank.
WELT: Wer waren die Idole Ihrer Jugend? Mit wem sind Sie aufgewachsen, war‘s die „Village Voice“ oder Crosby, Stills, Nash & Young: „Teach your children“? Haben Sie zu Jimi Hendrix getanzt oder auch mal zu Jefferson Airplane Pott geraucht?
Stewart: Für mich war es natürlich Elvis Presley. Es war die Zeit der Beatlemania und der Everly Brothers. Ich weiß noch, Elvis‘ erster Auftritt in der „Ed Sullivan Show“, schwarz-weiß, und der erste Besuch der Beatles in Amerika, das waren prägende Erlebnisse. Nein, ich war kein großer Ausgänger. Ich hockte zu Hause und habe gebüffelt. Meine Freunde genauso. Wir gingen nicht in Nachtclubs, wir tranken nicht, wir rauchten kein Hasch. Ich war anständig.
WELT: Eine angebrannte Pfanne war das einzige Schmutzige in Ihrem Leben – nicht langweilig?
Stewart: Nein, wieso? Ich war immer schon so eine Arbeitsbiene. Überhaupt, die Vorstellung, nur zu Hause zu sitzen und auf seinen Mann zu warten, war nie eine Option für mich. Kann ich auch keiner Frau empfehlen.
WELT: Ist Erfolg erotischer als ein Discotanz?
Stewart: Ich finde Erfolg ganz normal.
WELT: Schön, dass Sie das so sagen können. Aber war es immer so leicht? Wie haben Sie sich vor 50 Jahren in einer Männerwelt durchgesetzt?
Stewart: Ach, das Thema schon wieder. Müssen wir darüber reden? Mich langweilt das. Ich bin keine Feministin, und ich hatte auch nie Probleme mit Männern. Ich trenne nicht nach Geschlechtern, es kochen heute ja auch Mann wie Frau. Für mich gibt‘s da keinen Unterschied.
WELT: Erinnern Sie sich an das spektakuläre Foto: US-Präsident Barack Obama im Kreise seiner Eminenzen bei Shrimp-Wraps und Coffee to go im Screening Room, wie sie das Feuergefecht mit Bin Laden verfolgen?
Stewart: Oh ja.
WELT: Und Hillary Clinton als einzige Frau ganz vorne, die sich entsetzt die Hand vors Gesicht hält.
Stewart: Wobei Sie dann ja eingeräumt hat, sie habe gehustet – nachdem sie das Foto gesehen hatte …
WELT: Hallo? Sie hatte Angst, Gefühle preiszugeben.
Stewart: Ja … Obama hingegen wirkte einfach nur so. Insgesamt ein sehr aufschlussreiches Foto. Aber wer weiß, vielleicht hat Frau Clinton wirklich gehustet.
WELT: Selbst wenn: eine Runde von Leuten, wer hustet, ist die Frau. Es gibt einen Unterschied.
Stewart: Okay, wenn eine Frau attraktiv ist und klug, hat sie es vielleicht leichter reinzukommen. Dann aber muss sie sich auch beweisen: Substanz zeigen. Wobei gerade da viele Männer blöffen.
WELT: Die Antibabypille, war sie eine gute Erfindung?
Stewart: Doch, ja. Ein Schritt mehr für Frauen in die Befreiung.
WELT: Was halten Sie von Nachhilfe zum Erfolg für Frauen?
Stewart: Gar nichts. Wer am besten, intelligentesten ist, sollte das Rennen machen.
WELT: Sie haben es ja ganz allein geschafft.
Stewart: Ich kann Frauen nur den einen guten Rat geben, darauf zu achten, genug zu lernen, genug zu wissen, genug zu fragen, genug dabei zu sein. Dann schafft man‘s auch nach oben.
WELT: Sie geben gern zu Protokoll, dass Sie auch nur drei Stunden schlafen, weil Sie so viel arbeiten.
Stewart: Und ich bin nie krank – reine Zeitverschwendung. Ich gehe gegen eins ins Bett und stehe gegen fünf Uhr auf. Lang im Bett zu liegen macht mich depressiv.
WELT: 2002 fiel ein Schatten auf Ihr strahlendes Image: Sie wurden des Insiderhandels überführt. Wie groß war der Schock für Sie, als es plötzlich hieß: Der Traum ist aus, Gefängnis?
Stewart: Ich hatte keine Chance. Wenn dein eigener Anwalt falsch darstellt, was du getan hast und nicht versteht, was du machst, dann läuft etwas schief. Als mir das klar wurde, hatte ich schon weiche Knie.
WELT: Was wir ja in Deutschland an Amerika so bewundern, ist dieses Zweite-Karriere-Denken. Es ist das Land des Erfolges – und des Comebacks. Jeder bekommt eine zweite Chance, bei uns hingegen gilt: Wer stolpert, ist draußen. Obwohl sicher einige dachten, Sie kommen nie wieder zurück – Sie haben es geschafft.
Stewart: Ja, und ich weiß auch, dass viele Menschen auf meiner Seite gern auch mal erfahren hätten, was ich gedacht habe. Ich habe ja nie gesagt, was ich dachte. Ich durfte ja nicht. Ich musste einfach damit fertig werden, musste da durch und das Ganze hinter mich bringen. Aber das ist passé. Wobei, heute stand da ja wieder etwas in irgend so einem blöden Blog oder Schmierblatt – haben Sie diese kleine Meldung gesehen? Dass der verhaftetet Chef des Internationalen Währungsfonds jetzt von der Haft verschont werde, aber eine elektronische Fußfessel tragen müsse – genauso wie Bernie Madoff. Und Martha Stewart! Also, da könnte ich wirklich auf die Palme gehen. Langsam muss doch mal gut sein. Ach, egal.
WELT: Was war das Interessanteste, das Sie im Gefängnis gelernt haben über sich und Ihr Land?
Stewart: Ich habe gelernt, dass das amerikanische Justizsystem nicht immer fair ist. Dass man nicht alles glauben kann, was man liest oder hört. Und seinen Freunden kann man auch nicht immer trauen.
WELT: Hätten Sie gedacht, dass das von Ihnen als so freundlich, weiß, reinliches und Hufeisen werfende angepriesene Amerika so hart zu einer Frau sein kann, der Amerika doch auch viel zu verdanken hat – oder war es gerechtfertigt?
Stewart: Ich habe tiefe Zweifel am Strafsystem der Vereinigten Staaten. Ich glaube, es sitzen viele Menschen im Gefängnis, die da nicht hingehören. Sie werden nicht rehabilitiert, es wird ihnen nicht genug geholfen. Für Gemeingefährliche braucht man natürlich einen speziellen Aufbewahrungsort. Aber für viele andere, die dort sitzen, weil sie vielleicht mal einen Freund oder Verwandten unterstützt haben oder einmal in ihrem Leben etwas Falsches gemacht haben – da läuft viel falsch.
WELT: Für 300 000 Dollar in den Knast zu gehen kann sich nicht gelohnt haben. Hat es Sie rückblickend vielleicht aber auch beschützt, gerettet, gereinigt? Hochmut kommt vor dem Fall: Waren Sie schon ein Nimmersatt – wie groß war der Imageschaden?
Stewart: Wir haben nicht einen Kunden während dieser ganzen Zeit verloren, nicht einen Abonnenten. Sie haben alle zu uns gehalten, weil sie wussten, ich stehe für Qualität und gutes Design. Das war das Allerwichtigste.
WELT: Fünf Monate Haft. Gibt‘s ein Trauma, das Sie zurückbehalten haben, dass Sie etwa keine gestreiften Vorhänge mehr ertragen können, weil es Sie an Gitter vor den Fenstern erinnert?
Stewart: Nein, gar nicht. Ich habe die Zeit eher genutzt als eine Art Sabbatical. Eine Freundin von mir hatte gerade einen Schlaganfall, okay. Sie ist geistig voll da, aber gelähmt – und da habe ich zu ihr gesagt: Das ist dein Gefängnis. Sieh es als dein Gefängnis, aus dem du dich herausarbeiten musst, das du überleben musst. Es hat ihr geholfen.
WELT: Immer stark, woher diese Energie?
Stewart: Ich bin robust, ich jammer nicht, in meinem Kopf sprudeln nur pausenlos Ideen. Ich brauche keinen Psychiater, wenn Sie das meinen. Wäre auch nichts für mich. Ich habe meinen Garten.
WELT: Dann ist es eine Art Therapie, wenn Sie nicht eine Sorte Basilikum anpflanzen, sondern gleich 20?
Stewart: Meine Häuser sind mein Labor. Ich habe keinen Block neben meinem Bett, sondern: Mir stellt sich ein Problem, und ich kreiere die Lösung. Ich erforsche und entwickle alles selbst, selbst meine Putzmittel. In Bedford habe ich ein Zimmer nur für Bastelsachen, eins nur für Glitter und Deko und so weiter.
WELT: Ein Freudianer würde sagen, bei Ihnen ist immer Kindergeburtstag, weil Sie nicht erwachsen werden wollen.
Stewart: Ich bin doch kein Mann!
WELT: Aber Sie haben den Ruf, knallhart zu sein. Wen Sie nicht mögen, heißt es, der perlt an Ihnen ab wie ein Fettspritzer an einer Teflonpfanne – ein Kompliment?
Stewart: Ich finde es in Ordnung, auch Härte zu zeigen, solange man mich trotzdem mag.
WELT: Bei wem zeigen Sie auch mal Ihre sanfte Seite?
Stewart: Bei meinen Katzen, meinen Hunden, meinen Hühnern und meinen Pferden. Und bei meiner Enkelin. Ich bin gerade stolze Großmutter geworden.
WELT: Was ist mit Männern?
Stewart: Hängt vom Mann ab. Ich habe nichts gegen Männer, ich liebe Männer, ich liebe meine Pferde. Alle meine Pferde sind Männer.
WELT: Sie müssten es doch wissen: Funktioniert es wirklich so simpel, dass man Männer einfach mit immer gutem Essen verführt? Geht es denen tatsächlich nur um pies und stuffings?
Stewart: Liebe geht auch durch den Magen.
WELT: Essen ist der Sex des Alters, heißt es auch. Sie sind heute geschieden.
Stewart: Immerhin blicke ich auf eine 27-jährige Ehe zurück. Auf diese Laufzeit war eine Ehe ursprünglich mal angelegt, dann wäre nämlich einer von beiden gestorben. Und in meinem Fall wäre es auch sehr schön gewesen, wenn er gestorben wäre.
WELT: Kränkt es Sie, wenn Sie als „Herrin des Haushalts“ oder „blonde Maggie Thatcher“ tituliert werden?
Martha Stewart: Nein, toll, kein Problem damit.
WELT: Was machen Sie, wenn Sie nichts tun, mal ganz allein mit sich?
Stewart: Nein, nicht allein. Ich will nicht allein sein. Ich mag Menschen, ich mag mich unterhalten. Also, ein perfekter Tag war zum Beispiel letzten Samstag: Ich verließ um sechs Uhr früh mein Haus, zusammen mit zwei Freunden und zwei Lastwagen. Dann fuhren wir zu einer Baumschule und kauften jede Menge Pflanzen. Brachten sie alle nach Hause und machten dann einen kleinen Ausritt. Danach sah ich meine süße kleine Enkelin, zog mich um und fuhr nach New York, wo ich zu einer Bar Mitzwa eines Freundes eingeladen war. Das war ein schöner Tag. Ein aktiver Tag. Sehr effizient.
WELT: Bei Ihnen zu Hause walten strenge Regeln, heißt es. Gäste müssen Filzpantoffel wie bei Schlossbesichtigungen tragen, damit Ihr Boden nicht leidet.
Stewart: So ist es. Vor allem in Maine, während dieser matschigen Jahreszeit, dann zieht man bitte schön die Schuhe aus. Man muss ja nicht den ganzen Dreck reintragen. Wobei mein Haus in Maine eigentlich viel unkomplizierter ist als mein Bedford-Haus. Mein Bedford-Haus ist empfindlicher.
WELT: Wenn ein Gast Rotwein verschüttet?
Stewart: Gibt keinen Rotwein, genau deshalb.
WELT: Im Gefängnis mussten Sie ja etwas länger bleiben. Wie erträglich war die Zelle stilmäßig für Sie? Haben Sie umdekoriert?
Stewart: Das ging ja nicht, war nicht erlaubt. Aber ich habe die Büros der Verwaltung etwas auf Vordermann gebracht und entstaubt, ich habe meinen Mitinsassinnen Yoga-Unterricht erteilt und zu Weihnachten die Gefängniskirche dekoriert.
WELT: Mit was?
Stewart: Oh, mit so Dingen, was immer ich finden konnte. Es gab einen Laden im Gefängnis, wo man etwas kaufen konnte. Man durfte auch Besucher bitten, etwas mitzubringen. Also, was hatte ich: braunes Papier, etwas Glitter, Klebe und Farbe.
WELT: Gab’s Krach ums Hochbett, wer oben schläft, wer unten? Überhaupt schlafen Sie doch nur drei Stunden, und im Gefängnis fängt die Nacht ja schon sehr früh an. Wie war das, wenn Sie dann vielleicht mitten in der Nacht plötzlich noch in so eine Munchi-Laune kamen? Sie konnten ja nicht zum Kühlschrank gehen. Wie haben Sie die Zeit totgeschlagen?
Stewart: Ich habe Tausende Bücher gelesen. Habe getöpfert, die schönsten Sachen im Keramikkurs. Ich habe auch selbst unterrichtet, habe Tagebuch geschrieben, stundenlang, ganze Akten voll. Und die längsten Briefe, die Sie sich vorstellen können. Ich glaube, die hatten in ihrer ganzen Geschichte noch nie jemanden da, der so lange an der Schreibmaschine saß wie ich. Eigentlich war nur eine halbe Stunde erlaubt, aber ich saß da, während des Abendessens, und danach, und habe getippt und getippt.
WELT: Glauben Sie, der Kantinenkoch hatte Minderwertigkeitskomplexe, als er sah: „Oh, Hilfe, da sitzt die Stewart“?
Stewart: Da können Sie Gift drauf nehmen!
WELT: Ganz wichtige Frage in Amerika: Wie war seine „gravy“, die Bratensoße?
Stewart: Das Essen war ab-scheu-lich!
WELT: Mal über ein Buch nachgedacht: My favourite jail recipes – Köstlichkeiten aus dem Knast?
Stewart: Das nun nicht gerade, aber irgendwann werde ich ganz sicher ein Buch darüber herausbringen, das wird alles einmal in meiner großen Biografie stehen.
WELT: Haben Sie noch Kontakt zu einigen Häftlingen, schicken Sie Pakete zu Weihnachten?
Stewart: Es gibt da eine katholische Nonne, eine Pazifistin, zu der habe ich noch Kontakt.
WELT: Ihr Magazintitel „Martha Stewart Living“ kommt jetzt erstmals auf Deutsch. Mussten Sie Ihr Konzept anpassen an schwarz-rot-goldene Torten, oder ist Deutschland bereit für den amerikanischen Stil?
Stewart: Wir freuen uns sehr, auf dem deutschen Markt zu erscheinen: Es wird eine Mischung sein. Die internationalen Lizenzausgaben übernehmen einen Großteil der Inhalte des Stammblattes. Doch wenn es um Geschichten von regionalem Interesse geht, muss es für uns gewährleistet sein, dass diese dort erstellten Inhalte unseren Anforderungen stilistisch wie qualitativ entsprechen.
WELT: Was ja leider in Ihren Magazinen gar nicht vorkommt: Sextipps. Schade eigentlich, dieses Wissen braucht die gute Hausfrau doch auch. Aber das klammern Sie total aus.
Stewart: Ich fände das ein wenig geschmacklos. Wir sind ein Lifestylemagazin, und ich zähle mich auch nicht zu diesen Leuten, die ständig über Sex reden.
WELT: Jetzt noch mal ganz ehrlich, Männer drehen doch insgeheim durch bei Ihrem Konzept: Eigentlich sind Sie doch die ewige Mutter. Sind solche Frauen überhaupt noch erotisch?
Stewart: Und wie, was denken Sie! Wissen Sie, ich sitze hier nicht weltfremd hinter meinen Hortensien. Ich lese alle Zeitungen. Im Juli fahre ich zum Beispiel nach Haiti, wo ich mit einigen Frauen dort Produkte für Macy‘s entwerfe. Und ich habe noch viel vor. Ich bin eine moderne Frau.
WELT: Aber wir leben doch im Grunde in einer völligen Single-Welt, niemand hat mehr Zeit. Wo ist denn noch diese Backfrau? Eigentlich ist die doch mit Barbara Bush in Rente gegangen.
Stewart: Nu, meine Mädchen hier, die kommen heim – und dann kochen ihre Männer.
WELT: Wundern Sie sich eigentlich manchmal, dass Ihnen alle lieber alles nachmachen, statt ihren eigenen Stil auszuleben? Müssen Sie nicht manchmal schmunzeln, wie einfallslos Menschen auch sind?
Stewart: Nicht jeder ist kreativ. Diese Leute brauchen Hilfe. Aber es ist ja alles freiwillig.
WELT: Aber wo ist die Erziehung, wo ist Tradition? Haben die alle keine Mütter mehr, die ihnen das beibringen?
Stewart: No, dear, viele haben gar nichts.
WELT: Wenn Ihr Leben verfilmt würde, wer spielte die Hauptrolle in „Martha Stewart – a life worth living“?
Stewart: Helen Mirren sagte zwar mal, sie würde mich gern spielen. Aber ich würde mich selbst besetzen. Wen sonst?
Das Interview wurde 2011 veröffentlicht.