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Kulturwandel beim Hautschutz – Sonnencreme ist heute ein Lifestyle-Statement

Kulturwandel beim Hautschutz – Sonnencreme ist heute ein Lifestyle-Statement

Schutz auf die Haut: Millennials und Gen Z werden schon die «Generation Sonnencreme» genannt.

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Geschichten von früher aus der UV-Hölle: Menschen, die sich regelmässig auf die Sonnenbank – genannt Toaster – legten, um vor- oder nachzubräunen. Junge Männer, die sich im Urlaub freiwillig verbrannten, weil: «Übermorgen ist das alles braun.» Eltern, die sich und ihre Kinder immer mit derselben 10er-Sonnenmilch einschmierten, weshalb sie deren Duft auf ewig mit Sommer verbinden.

Für sensibilisierte Gemüter heute alles undenkbar, gerade Letzteres. Irgendeine Creme? Womöglich mit chemischen Filtern? Gar ins Gesicht? In dieser Haut will man echt nicht stecken. (Mehr dazu: 7 Fakten zum Sonnenschutz – so schützen Sie sich richtig)

«Generation Sonnencreme»

Sonnenschutz ist längst zum allgemeinen Mantra geworden, auf einer Stufe mit «genug Wasser trinken». Ständig referiert irgendwer von seiner Beauty-Routine, die, natürlich, Sun Protection Factor (SPF) enthält und, selbstredend, das ganze Jahr über beibehalten wird. Gestrahlt wird schliesslich immer. Und bloss nicht Hals und Ohren vergessen! Millennials wie Gen Z werden schon die «Generation Sonnencreme» genannt, weil sie sich ohnehin gern in Grossraumdrogerien aufhalten und bloss nicht so enden wollen wie die faltige Nachbarin vom Fensterbrett gegenüber, die beim Sonnenbaden noch keine Ahnung hatte, dass UVB- und UVA-Strahlen der Haut schaden. (Lesen Sie auch unser Interview mit einem Hautexperten: Warum Sie sich garantiert falsch eincremen)

Und wo schon mal ein so grosser Wille ist, ist ganz sicher auch ein Weg, Kapital daraus zu schlagen. Warum das Ganze nicht plakativ zum «Lifestyle» erheben? Die Tuben in hübsch und teuer anbieten? Das Prinzip Handseife: Die war ja auch mal ein Produkt, das nur funktionieren musste und nicht mehr als ein paar Euro kostete, bis irgendwer auf die Idee kam, aus der Flüssigseife flüssiges Gold zu machen. Wer sich gelegentlich in Hotels und Haushalten ästhetisch ambitionierter Freunde umschaut, sieht dort beige-braune Fläschchen, die locker 30 Franken aufwärts kosten. (Mehr dazu: Kontroverser Skincare-Hype – wenn Kinder schon zur Anti-Falten-Creme greifen)

Luxusmarken mit Fun-Factor

Rückblickend betrachtet dümpelte die Kategorie Sonnenpflege erstaunlich lange auf Zweckmittel-Niveau herum. Es gab die Klassiker (Nivea, Delial, Tiroler Nussöl), die Drogerie-Eigenmarken, die Apotheken-Variante. Wenn jemand in den Achtzigern oder Neunzigern Piz Buin benutzte, war das schon der Gipfel unter der Sonne. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren wurde das Sortiment deutlich grösser, vor allem mit mineralischem statt chemischem Schutz von Marken wie Isdin, Avène oder La Roche-Posay.

Früher hiess mineralisch: Kriegsbemalung im Gesicht, weil die Inhaltsstoffe Zinkoxid oder Titandioxid sich mit kleinen Partikeln auf die Haut setzten und dort eine Art Schutzbarriere bildeten. Mittlerweile sind die Texturen allerdings deutlich leichter. Chemischer Sonnenschutz hingegen zieht in die Haut ein und inaktiviert durch eine chemische Reaktion die UV-Strahlen.

Es kamen praktische Sprühpistolen, mit denen Mütter ihre Kinder über den Strand verfolgten und im Jackson-Pollock-Stil rudimentär benetzten. Dann richtige Sprays, die bis heute irre erfolgreich sind und exzessiv wie Deo in der Axe-Werbung eingesetzt werden. Die ein oder andere Luxusversion gab es natürlich auch, aber im Vergleich zum allgemeinen Beauty-Boom mit Pflege und dekorativer Kosmetik blieb die Sache noch recht überschaubar. Bis jetzt.

Bis heute ein Thema: Kinder eincremen, ohne dass ungeduldig gezappelt oder angewidert gejammert wird.

Bei Douglas sind online unter dem Punkt «Sonnencreme Gesicht» gerade 504 Produkte gelistet, bei Sephora 104, bei Niche Beauty immerhin noch 74; Selbstbräuner und After Sun übrigens nicht mitgerechnet. In den USA war Supergoop – ausnahmsweise nichts von Gwyneth Paltrow – eine der ersten Marken, die versuchten, Sonnencreme hip zu machen, indem sie ihre Produkte nicht mehr als saisonale, sondern als tägliche Pflege vermarkteten, mit Zusatzeffekt statt dickem Film auf der Haut: «Glow Screen» soll dem Gesicht neben Lichtschutzfaktor auch Glanz verleihen, «Unseen Sunscreen» ist ein Primer, also quasi die Grundlage fürs Make-up, mit eingebautem SPF.

Es sind praktische 2-in-1-Produkte, die weder funktional noch medizinisch daherkommen, sondern so bunt und schillernd wie all die anderen jungen Beauty-Produkte. Sie alle versprechen, Sonnenpflege sicher, unkompliziert und betont «fun» zu machen. Das Horrorprozedere aus Kindertagen soll nur noch grosser Spass sein. Wenn man jetzt bloss noch wüsste, welche dieser ganzen Cremen man benutzen soll.

Statement an Pool und Strand

Vor allem sind die neuen Flaschen natürlich auch neue Statussymbole, die eben nicht unbeachtet im heimischen Bad herumstehen, sondern fast genauso oft demonstrativ aus der Handtasche gezogen werden wie Lipgloss. Am Pool und im Urlaub sind sie erst recht präsent: Wer cremt womit, wer hat die heisseste Marke, mit dem besten Duft, die neueste Produktvariante?

Für Minimalisten muss es die schlichte weisse Tube von Muti aus München sein, die wegen ihrer angenehmen Textur anfangs ständig ausverkauft war. Aktuell ganz weit vorn: «Le Rub», das sich selbst «Official Sunscreen of the Good Life» nennt und mit seinem Schriftzug in Retro-Orange sofort an mondäne Strandorte mit gleichfarbigen Sonnenschirmen erinnert. Für den mineralischen Filter wird hier ausschliesslich Zinkoxid verwendet, damit die Haut nicht so leicht austrocknet, ausserdem enthält es glättende Hyaluronsäure, der Duft wurde extra mit einer Parfümeurin entwickelt. Relativ neu ist auch «New Layer» aus Deutschland und der Schweiz, das sich vor allem an Sportler und Outdoorfans richtet.

Die klassischen Kosmetikmarken ziehen ebenfalls nach und bringen ständig neue Varianten auf den Markt. Von Lancaster etwa gibt es einen Stick für die Handtasche mit getönter und unsichtbarer Pflege, die «Sun Drops» von Dr. Barbara Sturm, die per Pipette dosiert werden, sind trotz 150 Franken für 30 ml seit Jahren ein Bestseller.

Gute Creme muss nicht teuer sein

Aber sind teure Cremen wirklich besser? Und was von all den neuen Varianten ist wirklich empfehlenswert? Anruf bei dem Münchner Dermatologen Christian Merkel, der gleich klarstellt: «Ein Sonnenschutz muss überhaupt nicht viel kosten, um gut zu sein.» Es könne also bedenkenlos ein Produkt aus der Drogerie oder Apotheke gekauft werden, was die Inhaltsstoffe in Sachen Sonnenschutz angehe, gebe es da nicht viel Unterschied. Hauptsache, der Schutzfaktor sei hoch genug.

Mit einem Lichtschutzfaktor von 10 oder 20 waren wir in den Achtzigern oder Neunzigern im Grunde chronisch unterversorgt, damals gab es weder das Wissen noch die entsprechenden Produkte. «Wenn jemand allerdings eine Pflegeroutine hat mit Produkten, die er gut verträgt, kann es tatsächlich sinnvoll sein, den Sonnenschutz von der derselben Marke zu nehmen», meint Merkel. Unterschiedliche Marken mit unterschiedlichen Begleitstoffen könnten nämlich oft zu kleinen weissen Krümelchen nach dem Auftragen führen.

Warnung vor Octocrylen

Gegen 2-in-1-Produkte sei also überhaupt nichts einzuwenden, im Gegenteil, es komme lediglich auf den Lichtschutzfaktor an. «Die meisten haben einen Faktor von 20 bis 30 eingebaut. Das nenne ich gern einen City Shield, also ausreichend für den 20-Minuten-Weg zur Arbeit», sagt Merkel. «Aber wenn man mehr Zeit in der Sonne verbringt, sollte man zusätzlich noch einen 50er-Sonnenschutz auftragen.» Bei Trendprodukten wie Sun Drops komme es vor allem auf die Menge an. Ein oder zwei Tropfen reichten fürs ganze Gesicht bei weitem nicht aus, um den Schutzfaktor 50 zu erreichen.

Und was sagt der Experte zur ewigen «chemisch gegen mineralisch»-Diskussion? «Achten sollte man auf den Inhaltsstoff Octocrylen», sagt Merkel. Der habe sich in Tierversuchen als «potenziell krebserregend» gezeigt, ansonsten sei gegen chemische Filter nichts einzuwenden, jedenfalls nicht, was unsere Haut angeht. «Sie sind vielmehr für die Umwelt schädlich, vor allem beim Tauchen in Korallenriffen; das ist natürlich nicht zu vernachlässigen.» Ein Nachteil von mineralischen Filtern wiederum sei, dass sie die Haut austrocknen könnten. Die Produktion von Vitamin D dagegen unterbinden sie nicht. «Das ist ein Ammenmärchen», sagt Merkel. «Vitamin D nehmen wir auch über den Handrücken in der Sonne auf.»

Bei welcher Variante man diesen Sommer landet, muss jeder selbst ausprobieren – Hauptsache, die Haut wird geschützt. Insofern ist der Trend zu mehr Sonnenschutz tatsächlich hilfreich. Nur einen Nachteil haben die neuen Statussymbole: Wurde Sonnencreme früher bereitwillig geteilt, werden die hübschen teuren Tuben jetzt nur noch zähneknirschend weitergereicht.

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