Die Sandalen von Steve Jobs haben ihren eigenen Bodyguard. Trotz seiner hohen Statur fällt der Mann im schwarzen Anzug kaum auf, zu viele Menschen wuseln um die Vitrine herum, in der die ausgebleichten Latschen des Apple-Gründers ausgestellt sind. Das Fußbett ist platt getreten, die Lederriemen fallen in sich zusammen. Dennoch ist der Schuh eine der Attraktionen an diesem Abend in New York, an dem Birkenstock sich mit einer Party selbst feiert.
Das erste große Event der Marke seit Beginn der Pandemie fungiert auch als eine Art „Best-of“-Ausstellung über das Handwerk, die Geschichte und die Designprinzipien des Unternehmens. Man kann sich die Füße massieren lassen, auf einer Matratze aus der unternehmenseigenen Schlaflinie turnen oder einen „Görlitz Gimlet“ trinken, einen Cocktail, der nach dem wichtigsten Produktionsstandort von Birkenstock benannt ist. Die Schuhe von Steve Jobs, klassische „Arizonas“, sind nur eine Leihgabe. Vor drei Wochen wurden die Sandalen, die der Tech-Unternehmer in den 70er- und 80er-Jahren trug, für 218.750 Dollar versteigert – das erklärt den Aufpasser im schwarzen Anzug. Für Birkenstock dürfte vor allem der symbolische Wert zählen: ein ausgelatschter Schuh als Sinnbild der Beständigkeit einer Erfindung, mit der sich sogar ein Genie identifizieren konnte.
Mehr denn je ist Birkenstock daran gelegen, dass solche Geschichten erzählt werden. 1774 begann das Unternehmen als Schusterbetrieb, spezialisierte sich später auf orthopädische Leisten und schließlich Sandalen, heute mischt man im internationalen Modemarkt mit. Marketing hat man eigentlich kaum nötig: Seit Beginn der Pandemie, in der die Sandalen mit dem orthopädischen Fußbett zum wichtigen Element der Lockdown-Uniform erkoren wurden, läuft es bei der Firma aus Linz am Rhein besser denn je. Viele Modelle sind ständig ausverkauft. Das Unternehmen plant die Eröffnung einer neuen Fertigung in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern, die Produktionskapazität soll von derzeit knapp 30 Millionen Paaren pro Jahr auf über 40 Millionen erhöht werden.
Kapital gibt es mehr als genug. Im vergangenen Jahr verkauften die bisherigen Eigentümer, die Brüder Alexander und Christian Birkenstock, einen Mehrheitsanteil ihres Unternehmens an die Private-Equity-Firma L Catterton, an der wiederum der Luxuskonzern LVMH, Eigentümer von Firmen wie Dior oder Louis Vuitton, beteiligt ist. Für die fast 250 Jahre alte deutsche Marke mit einer bewegten Familiengeschichte und einem Management, das als so eigensinnig galt, wie die Schuhe aussehen, begann damit ein neues Kapitel. Dieses soll die Entwicklung zum „globalen Lifestyle-Unternehmen“, wie sich Birkenstock nennt, fortführen. Doch wie wird diese aussehen?
Häufig mal ausverkauft
Dem Geschäftsführer von Birkenstock zufolge entscheiden das vor allem er und sein Team. „Ich habe mir den Partner ausgesucht, nicht andersherum. Wir haben gezielt nach jemandem gesucht, der nicht nur finanzstark ist, sondern auch kulturell zu uns passt“, sagt Oliver Reichert. Dass die Marke heute so gut dasteht – mit, in seinen Worten, „dramatisch zweistelligen“ Wachstumsraten, „brutal guten“ Margen, ausverkauften Schuhen und Kooperationen mit renommierten Luxusmarken –, ist nicht zuletzt Reichert zu verdanken. 2009 stieg der ehemalige Journalist und Chef des Sportsenders DSF bei Birkenstock als Berater ein. Was er vorfand: eine chaotisch strukturierte Firma, eine zerstrittene Führung, bestehend aus zwei Brüdern, die sich auf keine gemeinsame Vision einigen konnten – und ein Produkt, das sich trotz allem gut verkaufte.
Dessen Potenzial wollte Reichert ausschöpfen. 2012 überzeugte er Alexander und Christian Birkenstock (der dritte Bruder Stephan hatte seine Anteile bereits Jahre zuvor verkauft) die Unternehmensführung in externe Hände zu legen: in seine und jene des langjährigen Birkenstock-Managers Markus Bensberg. Dieser stieg 2021 aus, kurz nach der Übernahme durch L Catterton. Seitdem ist Reichert alleiniger CEO.
Nach Einstieg des Investors habe sich nichts an seinem Arbeitsalltag geändert, sagt er. Eine Liste mit Ideen für neue Projekte oder Initiativen, die sich gut vermarkten lassen, habe ihm der Geldgeber nicht vorgelegt. „Warum sollte ein Investor anrufen und uns Tipps geben, wenn man genau nachverfolgen kann, dass unsere Vision bisher Erfolg hatte?“ Zu dieser gehört laut Reichert „organisches Wachstum“, bei dem es vor allem erst mal darum gehe, der hohen Nachfrage in Europa und den USA gerecht zu werden, statt im großen Stil in Asien zu expandieren.
Wie sehr sich die Marke jedoch den Mechanismen der Mode– und Luxuswelt entziehen kann, ist fraglich. Beispiele wie die Schmuckmarke Tiffany oder der Kofferhersteller Rimowa, die zuletzt von LVMH übernommen wurden, haben gezeigt: Nach der Akquise schaltete der Investor in den Turbogang, sodass kaum eine Woche ohne News über neue VIP-Auftritte, Events oder Kampagnen vergeht. Birkenstock bringt zwar regelmäßig neue Kooperationen mit Designerlabels heraus, hält sich mit Influencer- oder Celebrity-Marketing aber zurück.
Die Kommunikation nach außen hat die Firma, die bis vor ein paar Jahren nicht einmal über eine richtige PR-Abteilung verfügte, trotzdem professionalisiert. In diesem Jahr veröffentlichte sie eine Videoserie, die in Zusammenarbeit mit dem Content-Studio der „New York Times“ entwickelt wurde. Hauptthema: Wie das Ideal von mehr Fußgesundheit zur Entstehung des Birkenstock-Fußbetts sowie einer Sandale führte, die sich gängigen Vorstellungen von Schönheit entzog. Slogan: „Ugly for a reason“ – aus gutem Grund hässlich.
In den 70er-Jahren galten die seltsam aussehenden Birkenstocks nicht nur in den USA als Hippie-Schuhwerk und Symbol des Anti-Establishments. Obwohl das deutsche Unternehmen heute mit Marken von Valentino bis Dior kooperiert, will es sich diese unangepasste Haltung zumindest teilweise bewahren. Birkenstock soll Reichert zufolge kein Trendphänomen sein, das den Launen der Mode unterworfen ist. „Der Beitrag, den die Mode an unserem Erfolg geleistet hat, ist letztlich gering. Der Anteil unserer Modekooperationen am Gesamtangebot liegt bei unter zwei Prozent“, sagt er.
Trotzdem: Der Wandel des Zeitgeists hin zu mehr Komfort, die Offenheit für seltsam aussehende Schuhe, für die die Branche den Namen „Ugly Shoes“ gefunden hat, haben der Firma nicht geschadet. Und das Image fördern die Kooperationen auch – sogar innerhalb des Unternehmens. Für die Kooperationskollektionen, die unter dem Markennamen 1774 Birkenstock zusammengefasst werden, gibt es in den Fabriken eigene Produktionslinien. Die Arbeit daran, heißt es, sei bei den Mitarbeitern besonders hoch angesehen.