Glücklichsein scheint ganz einfach zu sein – wenn man Nanna Aspholm-Flik zuhört. Die gebürtige Finnin, die in Stuttgart lebt und arbeitet, verrät, was die Finnen anders machen.
13.04.2023 – 16:31 Uhr
Die Finnen, so scheint es, haben das Glück gepachtet. Jedenfalls steht Finnland bereits das sechste Jahr hintereinander an der Spitze des repräsentativen World Happiness Report – vor Dänemark und Island. Das muss ihnen erst mal jemand nachmachen. Wenn man nur wüsste wie?
Vielleicht indem man jemanden fragt, der qua Herkunft etwas davon versteht? Zum Beispiel Nanna Aspholm-Flik, Textilkünstlerin aus dem finnischen Tampere, die in Stuttgart wohnt, mit einem gebürtigen Stuttgarter verheiratet ist, mit ihm drei Kinder hat und in der Claudiusstraße ein Atelier für Textildesign am Laufen hält. Regelmäßig treffen sich dort kreative Köpfe, um sich über Textilkunst auszutauschen.
Jetzt beim Interviewtermin zum Thema Glück geht es um die Lebenskunst, die bei Nanna Aspholm-Flik mit der Textilkunst irgendwie verwoben ist. Kunst macht glücklich! Das strahlt die 58-Jährige aus. Auf jeden Fall trägt Kunst zu ihrem Wohlbefinden bei. Auch bei Jenny Vanhalen scheint das der Fall zu sein. Die finnische Künstlerkollegin ist gerade zu Besuch in Stuttgart. Die 45-Jährige fertigt Textilbilder auf der Grundlage digitaler Vorlagen – ihr künstlerisches Alleinstellungsmerkmal. Eindrucksvoll: ein Porträt ihres Sohnes, das im Atelier Aspholm-Flik ausgestellt ist.
Sich in der Natur verloren fühlen, käme einem Finnen nicht in den Sinn
Beide strahlen, als sei es ganz selbstverständlich, fröhlich zu sein. Offensichtlich kennen sie die Glücksformel, die einen viele Dinge positiv sehen lässt. „Ich würde nicht so sehr von Glück sprechen, sondern von Zufriedenheit“, sagt Nanna Aspholm-Flik. Doch das ist ja auch schon mal was. Wie gelingt den Finnen das?
Wenn man den beiden Frauen zuhört, dann ist das recht simpel. Ihre Landsleute lebten überwiegend im Einklang mit der Natur und damit auch im Einklang mit sich selbst. „Wir begreifen unsere Natur, unsere Wälder nie als etwas Bedrohliches, sondern schöpfen dort Kraft“, sagt Aspholm-Flik. In Deutschland, das im Glücksbarometer Platz 16 belegt, ist das weniger eindeutig. Hier schwingt beim Wald häufig ein Gefahrenmoment mit; ablesbar schon in den deutschen Märchen.
Sich in der Natur verloren fühlen? Das käme einem Finnen nicht in den Sinn, auch wenn dort statistisch gesehen nur 18,3 Menschen auf einem Quadratkilometer leben. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 232. „Wir kennen uns in der Natur aus“, sagt Jenny Vanhalen in ihrem selbstgestrickten Pulli. Feuermachen, sich selbst versorgen, alles kein Problem. „Wir sind Tiere – im positiven Sinne!“, sagt sie. Und ihre Augen blitzen.
Auch in Finnland gibt’s Probleme, doch die positiven Auffälligkeiten überwiegen
Diese Naturverbundenheit ist nicht antrainiert, sie kommt von innen. „Das macht die Natur dir“, sagt Jenny Vanhalen halb auf Englisch, halb auf Deutsch: „Wir sind ein Teil von ihr.“ Deshalb seien die Finnen in ihren abgelegenen Summer Cottages auch nicht krampfhaft auf der Suche nach Beschäftigung. Inneren Frieden spüren, zur Ruhe kommen, darum geht es. Ein Deutscher würde vielleicht fragen: Was machen wir hier? Der Finne würde antworten: „Just be!“ – einfach nur sein.
Natürlich wissen Nanna Aspholm-Flik und Jenny Vanhalen, dass man die Dinge nicht verallgemeinern kann, und das nicht alles Glück ist, was in Umfragen glänzt. Auch in Finnland gibt‘s Probleme. Dazu gehört das Thema Alkoholismus. Für die beiden Frauen überwiegen jedoch die positiven Auffälligkeiten, etwa die Fähigkeit im Hier und Jetzt leben zu können: „In Deutschland redet man darüber, wie das Wochenende war, in Finnland redet man auch über den Alltag“, sagt Aspholm-Flik. Und wenn das Wetter nicht gut ist, was in Finnland öfter der Fall ist, dann ist es eben so. „Reg dich nicht übers Wetter oder andere unwichtige Dinge auf“, sagt Jenny Vanhalen heiter.
Ein Kennzeichen: der Pragmatismus
Überhaupt seien die Finnen durch und durch pragmatisch. Die deutsche Mischung aus Himmelhochjauchzend und Zu-Tode-betrübt sei eher selten anzutreffen. „Das drückt sich schon im Klang der Sprache aus“, sagt Vanhalen: „Ob Freude oder Betrübnis – es gibt nur einen Ton.“ Der Pragmatismus, so berichten beide, sei auch im Umgang der Menschen untereinander festzustellen: Ein Ja ist ein Ja. Ein Mensch ist ein Mensch. „Man begegnet sich auf Augenhöhe – unabhängig von gesellschaftlicher Stellung oder Alter: „Wir sind eine solidarische Gesellschaft“, sagt Vanhalen, ohne dass Religion dabei eine große Rolle spielen würde. Typisch finnisch sei auch die Art und Weise, wie die Menschen Schwierigkeiten meisterten. Nicht krampfhaft, sondern entschlossen, cool. Für diese innere Stärke haben die Finnen ein eigenes Wort: Sisu.
Nanna Aspholm-Flik betont zudem die Offenheit als Charakteristikum. Sie selbst steht dafür exemplarisch. Mit 17 ist sie von Helsinki aus in die Welt gezogen, hat in den USA studiert, in China gelebt und später in Deutschland Wurzeln geschlagen. Mit 51 machte sie in Stuttgart ihr Diplom im Studiengang Textildesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Zu alt? Nie und nimmer! „In Finnland ist so etwas ganz selbstverständlich.“ Karrieren, Lebenswege verlaufen dort nicht linear; es gibt mehr Kurven. „Feel free, fühl Dich frei!“, sagt Jenny Vanhalen, die vom IT-Business in den Kunstbetrieb gewechselt ist.
Digitalisierung und Naturverbundenheit in Einklang bringen
Apropos IT. Finnland zählt nach der Meinung der beiden Künstlerinnen zu den fortschrittlichsten Ländern bei der Digitalisierung. Sämtliche Dienstleistungen würden digital angeboten und den Menschen auf sympathische Weise nahe gebracht. Wichtige Impulse für Innovationen, Bildung und Entwicklung gingen von „Sitra“ aus, eine in dieser Form einmaligen öffentlichen Stiftung unter der Obhut des finnischen Parlaments.
Die Finnen können’s offenbar: verschiedene Dinge miteinander verbinden. Den digitalen Fortschritt und das Leben in und mit der Natur. Für die Textil- und Lebenskünstlerinnen Nanna Aspholm-Flik und Jenny Vanhalen ist das eine Selbstverständlichkeit. Der finnische Lifestyle sei nicht irgendwie „magisch“, sondern „ziemlich normal“. Sagen’s, schauen sich an und lachen herzlich.